Jeune & Jolie (2013)

CineCouch Kritik Jan

Womöglich klang es in dem ein oder anderen Podcast schon einmal an oder ihr erinnert euch vielleicht an die Kritik zu L’ÉCUME DES JOURS zurück. Jedenfalls ist der Jan ja so ein kleiner nicht ganz so heimlicher Freund des französischen Kinos. Dass der neue Film von Francois Ozon ihn also ins Kino lockte, ist keine Verwunderung. Ob ihm der Film gefällt? Lasst euch überraschen:

Zuerst einmal gibt es eine kleine Geschichtsstunde. Anno 1967 erregte Regie-Urgestein Luis Buñuel mit BELLE DE JOUR große Aufmerksamkeit. Ein Skandalfilm, wie er im Buche steht: Eine wohlhabende Ehefrau gibt sich als titelgebende „Schöne des Tages“ der Prostitution hin. Wieso, weshalb, warum? Nicht so wichtig. Schließlich handelt es sich um einen für Buñuel typischen enigmatischen Plot. Dass der Film damals in der Zeit der aufkommenden 68er kontrovers diskutiert wurde, ist vorprogrammiert. Warum ihr euch durch einen Teil französische Filmhistorie lesen müsst? Ganz einfach: Mit JEUNE & JOLIE transferiert Ozon die Grundprämisse von BELLE DE JOUR in das 21. Jahrhundert, aber erschafft beileibe keinen aufgewärmten Abklatsch.

JungUndSchoen+01+-+Marine+Vacth
© Weltkino

Die Vorzeichen beider Filme ähneln sich in gewissen Punkten sehr: Die 17-jährige Protagonistin Isabelle (Marine Vacth) lebt in einer gut situierten Familie. Im Urlaub verliert sie ihre Unschuld und merkt, dass Liebe und Sexualität nicht unbedingt miteinander Hand in Hand gehen. Nach einem Sprung durch Ort und Zeit sieht man Isabelle, die sich außerhalb der Schule als Prostituierte namens Léa älteren Männern anbietet. 300 Euro kostet das Vergnügen. Niemand ahnt von ihrem Doppelleben, bis einer ihrer Stammkunden einem Herzinfarkt erliegt – und Isabelles Probleme erst so richtig anfangen.

Man braucht nicht viel Weltverständnis um zu erahnen, dass Ozons neuester Film ähnliche Kontroversen aufwerfen wird, wie es Buñuel seinerzeit evozierte. Dass JEUNE & JOLIE bei Weitem kein „How-to“-Tutorial zur Prostitution von Minderjährigen wird, sondern ein nuanciert geschriebenes und gespieltes Drama, ist womöglich die größte Errungenschaft vom französischen Meisterregisseur.

Auf den ersten Blick reiht sich der Film in das Werk von Ozon (Komödien wie 8 FEMMES seien mal außen vor gelassen) nahtlos ein. Seine Inszenierung ist geprägt von einer gewissen Distanz, die er nur in ganz seltenen Momenten durchbricht. Etwa in der Szene, wenn Isabelle beim Therapeuten von ihren Erfahrungen berichtet und wir nur die sinnlichen Attribute ihres Gesichts im Bild haben, ihre Lippen und ihre Augen. Ozon durchbricht gerne die Emotionalität seiner Geschichte, indem er beinahe beiläufig und teilnahmslos die Geschehnisse filmt. Es ist ein gewisser Hang zur Entdramatisierung zu verspüren. Die Geschichte einer Minderjährigen, die ihren Körper verkauft, eine komplizierte Beziehung zu ihrer Mutter hat – das sind Konflikte, die gerne in melodramatischen Szenen aufbereitet werden. Ozon verzichtet auf Kitsch. Er beobachtet – und lässt den Zuschauer sein eigenes Gesamtbild entwerfen.

Einige mögen Ozons Stil als kalt empfinden. Doch er findet immer wieder sehr sentimentale Momente, die er in poetischen Bildern einbettet. So beobachtet sich Isabelle selbst, als sie entjungfert wird. Die Angst und Flucht vor der Verletzung des eigenen Körpers – tatsächlich bemerkt sie, wieder zu Hause angekommen, dass sie blutet – und vielleicht noch eher der eigenen Psyche, treiben sie aus ihrem Körper hinaus. Oder ist es aber die Lust, sich selbst zu betrachten? Nicht immer bietet Ozon in seinem Film eine deutliche Antwort an. Weshalb Isabelle sich prostituiert, bleibt offen oder zumindest im Auge des Betrachters interpretierbar.

JungUndSchoen+02+-+Marine+Vacth
© Weltkino

JEUNE & JOLIE erzählt Isabelles Geschichte über vier Jahreszeiten hinweg und unterlegt sie mit vier signifikanten Liedern beziehungsweise Gedichten. Dass deren Inhalte eher kontrapunktisch zu den Geschehnissen in der Handlung eingesetzt werden als ergänzend, macht die Auswahl höchst interessant. Starke Momente erlebt der Film auch immer dann, wenn Ozon offensichtlich gewissen Anspielungen macht. Der Auftritt Charlotte Ramplings etwa, die als eine seiner „Stammdarstellerinnen“ alleine durch ihre Rollen in vorigen Filmen bei Ozon Wiedererkennungswert hat. Eine Anspielung auf den 1980er Kultfilm LA BOUM ist eine andere, welche gerade auf das sich Verlieben hinzielt. Oder eben zahlreiche Referenzen an den schon mehrfach genannten BELLE DE JOUR, deren genauere Erläuterungen zu weit führen würden.

Zu guter Letzt muss die Hauptdarstellerin ihr verdientes Lob erhalten. Die 23-jährige Marine Vacth, eine noch sehr unbekannte Darstellerin, bezaubert von Anfang an durch ihr einfaches Auftreten. Dass sich so einige Jungs (und Männer) in die junge Hübsche verlieben oder vergucken, kann man durchaus nachvollziehen. Im Filmverlauf darf sie allerdings gerade im Zusammenspiel mit sehr unterschiedlichen Charakteren eine bunte Palette an Schauspielfacetten darbieten, sodass die Casting-Entscheidung – genau wie der restliche Film – über jeden Zweifel erhaben ist.

JEUNE & JOLIE in der IMDb
JEUNE & JOLIE auf Letterboxd

Trailer:

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