Wenn ich mich jetzt auch schon einige Jahre intensiver mit Filmen beschäftige, habe ich dennoch weiterhin einige Lücken, besonders bei älteren Filmen, die ich nach und nach zu schließen versuche. Vor zwei Wochen gelang mir dies mit THE DEER HUNTER (dt.: „Die durch die Hölle gehen“), der mir unter anderem durch seine beeindruckenden 5 gewonnenen Oscars und Platz 138 in der IMDb Top 250 aufgefallen ist. Bei diesen und weiteren überzeugenden Argumenten ließ eine Sichtung nicht lange auf sich warten, obwohl ich kein wirklich großer Fan des Kriegsfilm-Genres bin.
In drei etwa gleichlangen Teilen erzählt THE DEER HUNTER die gemeinsame Geschichte von Michael (Robert de Niro), Steven (John Savage) und Nick (Christopher Walken). Bevor diese drei voll Patriotismus und Vaterlandsliebe in den Vietnamkrieg ziehen, wird Stevens Hochzeit in Saus und Braus mit der ganzen Kleinstadt gefeiert. Nach der Verabschiedung der Soldaten, fahren sie und ihre Freunde am nächsten Tag in die Wälder zur vorerst letzten gemeinsamen Jagd. Plötzlich befindet man sich mitten im Kriegsgeschehen wieder: Man folgt Michael, der schließlich in vietnamesischer Gefangenschaft wieder auf seine alten Kameraden stößt und versucht, sie alle zu retten. Dies gelingt ihm zwar und die drei bringen sich in die sicheren Hände amerikanischer Truppen, doch unbeschadet kommt keiner von ihnen davon. Dies macht sich bemerkbar, als Michael wieder in seine Heimatstadt zurückkehrt und versucht, ein normales Leben zu führen.
An sich lässt sich die Handlung sogar noch kürzer zusammenfassen und wenn man mal ehrlich ist, passiert die erste Stunde, wenn alle noch in der Heimatstadt sind, herzlich wenig. Generell ist die Handlung relativ unkompliziert, hangelt sich an den genannten Figuren (größtenteils an Michael) entlang und wird trotzdem auf satte drei Stunden gestreckt. Was ist es also, dass diesen Film ausmacht?
Kurz gesagt sind es die Schwerpunkte, auf die sich der Film konzentriert. Dies sind zum einen die Charaktere, die wunderbar und sehr ausführlich eingeführt und beleuchtet werden, sodass man sich als Zuschauer ein gutes Bild der Gruppe, aber auch jeder einzelner Person bilden kann. Zudem sind sie so lebensecht und interessant geschrieben, dass es einen nie langweilt, das Treiben der harmonischen, leicht chaotischen Gruppe zu beobachten. Natürlich liegt auf den drei zukünftigen Soldaten das Hauptaugenmerk, aber trotzdem bleiben einem auch die Nebenfiguren in Erinnerung, wodurch innerhalb der ersten Stunde des Films ein stimmiges, positives Gesamtbild entsteht und man sich in der Kleinstadt auch ein wenig zu Hause fühlt. Besonders hervorzuheben sind hier die Leistungen und natürlich auch die Charaktere von Meryl Streep und Jahn Cazale, die der Gruppe interessante Facetten verleihen.
Dieses Wohlgefühl wurde einzig und allein dafür kreiert, um es sogleich wieder zu zerschmettern und einen extremen Kontrast zum nächsten Teil der Geschichte zu erschaffen. Spätestens jetzt versteht man, warum Michael Cimino sich für die Inszenierung des freundlichen Kleinstadtlebens so viel Zeit genommen hat. Freut man sich gerade eben noch für das frisch gebackene Ehepaar, bangt man im nächsten Moment um das Leben von Michael, Nick und Steven. Die Szenen der drei in vietnamesischer Gefangenschaft sind mit die intensivsten (und gleichzeitig schlimmsten) Szenen, die ich jeh gesehen und erlebt habe. Denn wenn man zusieht, wie sie zum Russisch Roulette gezwungen werden und um ihr Leben spielen, Michael dabei unerschütterlich versucht aus der ganzen Sache lebend herauszukommen, während seine Kameraden schon längst aufgegeben haben, kann man schon fast nicht mehr hinsehen. Viel deutlicher kann man die Sinnlosigkeit des Krieges nicht aufzeigen.
Die Glanzleistungen von De Niro, Savage und Walken packen einen zusammen mit der unbarmherzigen Inszenierung und dem genialen Drehbuch genau da, wo es unangenehm wird und lassen einen nicht mehr los. Ist man vom Verlauf des zweiten Teils noch geschockt, fängt man im dritten Teil so langsam an, das verzweifelnde Ausmaß der ganzen Tragödie zu verstehen. Denn Cimino geht es nicht darum zu zeigen, wie grausam, blutrünstig oder actionreich ein Krieg sein kann, sondern um die Auswirkungen des Krieges auf die, die ihn austragen, und ihre Angehörigen. Die große Frage, die der Film gleichzeitig subtil und intensiv zu beantworten versucht, ist: Was wird aus einem Menschen, aus seinem Verstand, der solch Schreckliches erlebt hat? In der letzten Stunde bekommt man darauf drei ganz unterschiedliche Antworten, die ebenfalls sehr einfühlsam und gefühlsnah erzählt werden. Instinktiv vergleicht man die erste und die letzte Stunde, in denen es spannende Dopplungen und Veränderungen gibt, und wünscht sich insgeheim nichts sehnlicher, als einfach alles auf Anfang zurückspulen zu können.
THE DEER HUNTER ist auf jeden Fall einer der besten Anti-Kriegsfilme aller Zeiten und schafft es eine überaus deutliche Position zu formulieren, ohne dem Zuschauer gleich seine Moral ins Gesicht zu drücken. Die expliziten Kriegsszenen sind so genial inszeniert und in den Film eingebunden, dass schon wenige intensive Momente ausreichen, um einen tiefen Eindruck zu hinterlassen. Besonders die Nähe zu den Figuren und die schauspielerischen Leistungen zeichnen THE DEER HUNTER aus und heben ihn von vergleichbaren Stoffen angenehm ab.