Jan auf dem Filmfest München (IV)

CineCouch Artikel I Jan

Ein letztes „Hallo zusammen“ aus München!

Es liegen einige anstrengende, aber auch sehr schöne Tage hinter mir. Nachdem mich im Februar die Berlinale förmlich ausgebrannt hat, ist es hier auf dem Filmfest deutlich ruhiger – ja, sogar sehr angenehm. In den frühesten Stunden des Tages aufstehen und dennoch in gewundenen Schlangen stehen? Fehlanzeige in München, hier ist alles etwas lockerer, schneller und ruhiger. Was ich an den letzten zwei Festivaltagen erlebt habe, folgt jetzt:

Tag 7 – Ab ins Wochenende

Wenn es nach meinen bisherigen Seherfahrungen in München geht, ist der Zenit der Festivalwoche nach UNDER THE SKIN wohl erreicht. Natürlich hält mich das nicht ab, weitere Filme zu sichten. Und so setzt ich meine Mission fort, die neuen deutschen Beiträge zu sehen. Am Freitagmorgen stand EIN GESCHENK DER GÖTTER auf dem Programm. Es handelt sich dabei um eine leider allzu typische Außenseiter-Dramödie. Eine Theaterschauspielerin wird auf die Straße gesetzt und wird vom Arbeitsamt als Kursleiterin eingesetzt. Statt Computerkurse, wird da nun Sophokles‘ Tragödie „Antigone“ einstudiert. Dabei haben alle Beteiligten nicht nur mit dem Text, sondern auch mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen. Das ist zwar alles nett anzusehen, hätte so aber auch im Sat1-Filmabend seine Premiere feiern können.

Also mal was ganz anderes versuchen. Wie wäre es mit einem Genrefilm? IT FOLLOWS hätte ich doch eher im Programm des Fantasy Filmfest erwartet. Und selbst dafür wirkt der Film von seiner Grundidee schon sehr altbacken: Mittels Geschlechtsverkehr wird „es“ auf eine andere Person übertragen. Dabei handelt es sich um Gespenster-artige menschenähnliche Lebewesen, die die infizierte Person verfolgen und töten wollen. Mehr Klischee geht wohl nicht. Blöderweise liegt da der Gedanke so nahe, dass man Geschlechtskrankheiten einfach ohne Konsequenzen weitergeben könne. Vielleicht denke ich aber auch schon zu viel nach. Der Film bietet immerhin ganz nette Bildkompositionen. Für Horrorfans sicherlich empfehlenswert.

Und wie so häufig wird meine Stimmung am Nachmittag dann von deutschen Filmen gehoben. Zuerst mit dem Dokumentarfilm L’CHAIM, der Chaim, einen jüdischen Mann der zweiten Generation, in den Fokus rückt. Der Film ist deutlich mehr als ein Holocaust-Film, er versprüht trotz der dunklen Vergangenheit, die immer wieder Chaims Leben stark beeinflusst, eine unfassbare Lebensfreude. Die Doku lässt den Zuschauer mit gemischten Gefühlen zurück. Am Ende überwiegt aber einfach die Erinnerung an Chaim mit seinem wundervollen und erfüllten Leben.

Darauf folgt ein Kammerspiel. Die kleinstmögliche Art des Films: Zwei Personen, ein Raum. Doch darin entwickelt sich eine physische Tour-de-Force, in der die Perspektiven und Machtpositionen in einem ständigen Wandel sind. Allerdings wirkt die Geschichte trotz der Dialoglastigkeit nie unglaubwürdig oder gar ermüdend. Für Fans von Filmen wie Steve Buscemis INTERVIEW dürfte DAS HOTELZIMMER ein kleiner deutscher Geheimtipp sein.

Bevor das Wochenende anbricht und nachdem ich meine neue Bleibe in München bezogen habe, wartet noch ein französischer, in der Schweiz spielender Thriller auf mich. Ein Lehrer für kreatives Schreiben (Matthieu Amalric) lässt sich immer mal wieder auf riskante Liebeleien mit seinen jungen Studentinnen ein. Dass diese Affären ihm zum Verhängnis werden, ist nahezu vorprogrammiert, insbesondere als eine seiner letzten Eroberungen wie vom Erdboden verschluckt ist. L’AMOUR EST UNE CRIME PARFAIT hat eine interessante Grundkonstellation zu bieten, die aber für einen Thriller viel zu behäbig angefasst wird. Echte Spannung kommt eigentlich nie auf. Schade, denn die Schweizer Berge am Genfer See bieten die perfekte Kulisse für solche eine mysteriöse Geschichte.

Tag 8 – Abschied nehmen

Dann doch noch schneller als erwartet ist es wieder Samstag – und damit der letzte Tag des Münchner Filmfests. Vier Kinokarten sind bereits seit Donnerstag ein ständiger Begleiter. Doch irgendwie kommt dann doch alles anders: Der erste Film um 14 Uhr fällt flach, weil der Thai-Service einfach zu lange braucht, drei Bestellungen zum Tisch zu bringen.

Immerhin lange ich pünktlich für den Starnberg-Krimi DIE REICHEN LEICHEN im Kino. Der Fernsehfilm, mein einziger während der Festivalwoche, entstand unter der Regie von Dominik Graf, was gleich noch eine Premiere für mich bedeutet. Die erste Arbeit von Graf, die ich sehe, ist ein gewitzt geschriebener und teilweise nahe an Kinoproduktionen heranreichender 90-Minüter, der bestens unterhält. TV-Produktionen im Kino zu sehen mag befremdlich klingen, die Atmosphäre aber ist einmalig und nicht zu wiederholen.

Der Abschlussfilm fällt dann leider auch noch ins Wasser. Mike Cahills (ANOTHER EARTH) neuer Film I ORIGINS wieder mit Brit Marling in der Hauptrolle soll das Festival abschließen und ist Teil der Abschlusszeremonie inklusive Preisverleihung. Leider soll der ganze Spaß deutlich länger dauern, als zunächst noch angenommen, sodass mein Abschlussfilm des Filmfests nicht mehr rechtzeitig erreichbar wäre – und diese einmalige Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen.

Die Rede ist natürlich von Jean-Luc Godards neuestem Film ADIEU AU LANGAGE. der 84-jährige Regisseur lässt sich von keiner technischen Neuerung abschrecken. ADIEU AU LANGAGE drehte er in 3D, teilweise mit selbst gebastelten Handy-Kameras (zwei aneinander geklebte Handys) und einigen experimentierfreudigen Ideen. So ein 3D habe ich zuvor noch nie gesehen. Dass Handkameras im Zusammenspiel mit 3D-Effekt verboten gehören, war mir allerdings schon vorher irgendwie klar. Wem die essayistische Form des Films nicht schon Kopfschmerzen bereitet, da tut das 3D dann sein übriges. Dennoch war es ein würdiger Abschluss für das Filmfest München 2014.

Dieses war ein voller Erfolg. Viele Leute habe ich neu kennengelernt, einige sehr gute Filme gesehen und obwohl es mir nach acht Tage reicht, würde ich gerne doch noch mehr Festivalluft einatmen. Mit ziemlicher Sicherheit gibt es ein Wiedersehen im nächsten Jahr!