A Most Wanted Man (2014)

CineCouch Kritik JanAm 2. Februar 2014 erschütterte die Nachricht vom Tod Philip Seymour Hoffmans die Filmwelt. Mit ihm verlor die gesamte Branche einen der besten Charakterdarsteller seiner Zeit. Seine letzte Hauptrolle füllte er in Anton Corbijns neuestem Film A MOST WANTED MAN aus. Und dies in seiner gewohnt unnachahmlichen Art.

Nach den Anschlägen vom 11. September ist nicht nur Amerika ein traumatisiertes Land. Vor allem in Hamburg, wo einer der Attentäter jahrelang unbehelligt den Anschlag mit plante, ist die Paranoia unter den Geheimdiensten hoch, der Wettstreit allerdings auch. Als Issa Karpow (Grigoriy Dobrygin), gefoltert und schwer mitgenommen als illegaler Einwanderer im Hamburger Hafen ankommt und in der islamischen Szene Unterschlupf sucht, gerät er ins Visier von Günther Bachmann (Philip Seymour Hoffman), einem Spion. Doch auch der amerikanische Geheimdienst und deutsche Sicherheitsbehörden interessiert sich für den Flüchtling. So wird Issa zum meistgesuchten Mann der Welt…

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© Senator

Anton Corbijns neuester Film baut auf dem gleichnamigen Roman des britischen Autors John Le Carré auf, der hierzulande unter dem Titel „Marionetten“ erschien. Neben Issa und Bachmann spielen noch der Banker Thomas Brue (Willem Dafoe) und die Anwältin Annabel Richter (Rachel McAdams) als Protagonisten tragende Rollen. Das Skript von Andrew Bovell rückt jedoch ganz klar die Geschichte von Bachmann in der Vordergrund und legt damit die Grundlage für einen extrem packenden und dabei vollkommen unaufgeregten Agenten-Thriller. Genauso gut hätte man den Film aus der Perspektive einer anderen Hauptfigur zeigen können und hätte damit auch einen Justiz- oder Finanz-Thriller oder ein Charakterdrama schustern können.

Die Vielfalt der Möglichkeiten wurde im Film gottseidank nicht versucht, unter einen Hut zu bringen. Die Konzentration auf eine klare Hauptfigur war die richtige Entscheidung. Trotz seiner 122 Minuten Laufzeit sind die Wendungen der Geschichte bereits füllend genug, dass die Erweiterung der Charakterausarbeitung einen Kollaps verursacht hätte. So ganz kann A MOST WANTED MAN aber doch nicht ausblenden, was die anderen Figuren antreibt, bleibt dabei aber sehr stark an der Oberfläche und weist da seine größten Schwächen auf. Zum Ende des Films ist das Ensemble neben den Hollywood-Stars beträchtlich angewachsen: Robin Wright, Daniel Brühl, Nina Hoss, Rainer Bock und sogar Herbert Grönemeyer erweitern den illustren Cast bis in kleinste Nebenrollen exzellent. Grönemeyer, ein guter Freund des Regisseurs, schrieb zusätzlich die treibende, wenn auch sehr genre-typische Filmmusik.

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© Senator

Filmisch lässt der ehemalige Fotograf Corbijn jedenfalls keinerlei Schwächen zu. Die manchmal doch zu komplex werdende Figurenkonstellation mit ihren wenigen überflüssigen Abschweifungen, lässt sich in der Ästhetik als genau temperiert wahrnehmen. So sind vor allem Linsen mit hoher Brennweite vor die Kamera montiert, was dem Film eine äußerst eigenständige Optik verleiht. Die Figuren stehen oftmals alleine im engen Fokus der Kamera, alles andere um sie herum verschwimmt in der Unschärfe. Besonders intensiv wird die Nutzung der extrem flachen Schärfe in einem der wichtigsten Dialoge der Handlung zwischen Bachmann und Richter: Der Verzicht auf das übliche Schuss-Gegenschuss-Verfahren lässt keinen Zweifel über die Dominanz in diesem Gespräch, die den weiter entfernten Bachmann im Fokus zeigt. Richter liegt ganz nahe der Kamera in der vollkommenen Unschärfe. Die Nähe und gleichzeitige Unkenntnis über ihre Emotionen, die sich schlicht und ergreifend nicht aus ihrem nur rudimentär erkennbaren Gesicht ablesen lassen, macht diesen Moment zu einem magischen.

Die vermutlich jedoch größte Stärke von A MOST WANTED MAN ist seine temporäre Relevanz: Das Thema der Spionage, das Konkurrieren von Geheimdiensten und eine generelle Angst, jemandem zu vertrauen, könnten aktueller kaum sein. Da ruft der Kommentar von Robin Wright als US-Botschafterin im Bezug auf das Abhören deutscher Sicherheitsdienste Gelächter hervor, wenn sie sagt: „We do not do this anymore.“ Zynismus und Fatalität sind ohnehin groß geschrieben in der Handlung, was der deutsche Buchtitel passend auf den Punkt bringt: In dem Spiel der Abhörapparate und Sicherheitsdienste sind wir alle nur noch Marionetten, die auf das Kommando des Strippenziehers tanzen – die Frage, wer die Fäden in der Hand hält, ist dabei eine ganz andere und macht A MOST WANTED MAN zu einem der besten Thriller der vergangenen Jahre.