Das Ende des Films?

CineCouch Essay Jan

Es ist der 11. Juli 2013 als eine kleine Nachricht wirklich große Wellen schlägt. Nun, zumindest bringt die Nachricht in mir ganze Fässer zum Überlaufen. Blickpunkt:Film berichtet über eine erste Verlautbarung des Concorde Filmverleihs: UPSIDE DOWN, eine französisch-kanadische Koproduktion vom argentinischen Regisseur Juan Diego Solanas, wird die letzte 35 mm Kopie sein, die an Kinos geliefert wird. Danach stelle der Verleih auf eine ausschließlich digitale Distribution der Filme um. Der Starttermin des Films ist der 22. August 2013 – viel Zeit bleibt also nicht mehr.

Concorde bildet dabei im Übrigen keinen Einzelfall: Prokino belächelt mit der eigenen Politik auf zynische Art und Weise den eigenen Namen, da Richard Linklaters dritter Teil der tragischen Liebesgeschichte BEFORE MIDNIGHT deren letzter analoge Filmvertrieb sein soll. Der gute alte Zelluloid-Streifen steht auf dem Abstellgleis. Das ist für viele, die sich für Filme und Kino im Besonderen interessieren, keine wirkliche Überraschung. Dass der Prozess hin zum digitalen nun so schnell verlaufen soll, erstaunt dann doch.

Inglourious Basterds - FinaleDas Finale von Quentin Tarantinos Nazi-Märchen INGLOURIOUS BASTERDS wurde anno 2009 von Kritikern wie Kinogängern gelobt: Letztlich siegt der Film über das Übel. Das Kino ist stärker als die Quelle der Propaganda. Eines der stärksten Waffen der Nationalsozialisten wird gegen sie selbst gewandt – mit verheerender Wirkung. Aus heutiger Sicht wirkt diese Szene umgekehrt – wie blanker Hohn, wobei dies von Tarantino (ein großer Bekenner des Zelluloids) ganz sicher nicht beabsichtigt war. Das Verbrennen von Massen an Filmrollen wird nun nicht zur Waffe, sondern zum zerstörenden Akt in sich. Es ist eine traurige Nachricht, die diese Bilder (insbesondere aus ihrem eigentlichen Zusammenhang gerissen) nun übertragen.

Doch weg von diesen allegorischen Metaphern zurück zur Realität. Die Digitalisierung ist bereits seit Jahren eines der größten Projekte der deutschen Kinoketten. „Laut Angaben von Media Salles gab es am 1. Januar dieses Jahres [Anm. d. V.: 2013] weltweit 90.142 Säle, die mit DLP-Cinema- oder SXRD-Technik ausgestattet waren. Somit sind 75 Prozent aller Kinosäle auf digitalen Betrieb umgestellt.“ (Quelle: heise.de, Stand: 17.02.2013) Diese Statistik dürfte mittlerweile überholt sein. Aus rein wirtschaftlichem Interesse macht der Schritt der deutschen Filmverleihe natürlich Sinn. Der Großteil aller Kinosäle ist mittlerweile für die digitale Vorführung umgerüstet. Abgesehen vom ohnehin teu(re)ren Herstellungspreis hunderter von Filmkopien und deren Versand an die Kinos (mitsamt einem nicht zu verachtenden logistischen Aufwand) dürfte die Gewinnmarge bereits sehr gering liegen.

Natürlich haben digitale Filme ihre Vorteile. Ökologen freuen sich über die Ressourcen-sparende Verbreitung der Kopien. Ökonomen über den günstigeren Preis. Und die Kinos freuen sich, dass auf unkomplizierte Art der Film vorgespielt werden kann. Dies sind nur wenige und zugegebenermaßen recht einfache und oberflächliche Pro-Argumente, zu anderen will ich später noch kommen. Denn gerade der letzte Punkt bietet eine wunderbare Überleitung zu Entgegnungen.

Seit geraumer Zeit entlassen vor allem die Multiplex-Kinos zahlreiche Mitarbeiter. Digitalisierung bedeutet zwar Beschleunigung und Vereinfachung des Vorführprozesses, kostet aber auch unzähligen Filmvorführern ihren Arbeitsplatz. Die Kette UCI hat gar keinen professionellen Vorführer mehr auf der Gehaltsliste, Cinemaxx will Ende des Jahres folgen und Cinestar lässt sich von immer wiederkehrenden Demonstrationen der Gewerkschaftler nicht wirklich beeindrucken (Quelle: heise.de, Stand: 02.05.2013). Wozu braucht man ausgebildete (und teure) Angestellte, wenn ein Praktikant mit der Technik und dem (quasi nicht mehr haptisch-existenten) Material zurecht kommt?

Ohne diesen Punkt zu vertiefen, weil es ein zu weitreichendes Feld ist, haben natürlich auch die kleinen Kinos von Privateigentümern und kleinen „Provinzkinos“ das Nachsehen. Umrüsten ist teuer und nicht für jeden Selbstständigen zu tragen. Aber neben diesen allesamt objektiv betrachtet nachvollziehbaren Gründen für und wider die Entscheidung und Entwicklung gibt es eben auch noch andere Motivationen, Stellung zu beziehen.

Wer sich zu den Glücklichen zählen kann, der noch in Kinos mit einem 35 mm Projektor sitzen darf und durfte, der kann möglicherweise nachvollziehen, dass die Vorstellung eine andere ist als die, die man auch im Wohnzimmer erleben kann. Das leise Surren der durchlaufenden Filmrolle und der Mechanik, die leichten visuellen Kratzer auf der Leinwand, die von der Kopie herrühren, gehören für mich einfach zum Kino-Erlebnis dazu. Die digitale Reinheit ist schön und gut, aber die kann ich überall erleben. Ob auf DVD, Blu-ray oder im Stream, für diesen Look muss ich nicht ins teure Vergnügen Kino gehen.

Vielleicht können einige Betreiber daraus auch einen Schritt wagen, der zuvor wegen der begrenzten Anzahl an Kopien utopisch klang. Programmkinos könnten sich mit Originalversionen ausstatten, die in vielen Multiplexen nicht angeboten werden. Damit könnten sie eine weitere, nicht zu vernachlässigende Schicht der Cineasten ansprechen. Vor allem aber sind auch kleinere Filme über eine digitale Vertriebsform leichter zu erreichen. Im besten Falle wird das gebotene Programm nicht kleiner, wenn die privaten Kinos schließen müssten, sondern breiter.

Natürlich ist die Digitalisierung des Kinos nicht der Untergang der Welt. Ich werde auch weiterhin in die Lichtspielhäuser ziehen, um zeitnah und im großen Maßstab Filme zu gucken. Sollte aber der Zeitpunkt kommen, an dem tatsächlich kein Zelluloid mehr durch die Projektoren gezogen wird, hat das Kino für mich ein Stück seiner Seele verloren.

inglourious-basterds

The last laugh is on you…

Euer Jan.

+++Update 21. August 2013+++
Nun müssen auch meine Mainzer-Lieblingskinos Capitol&Palatin notgedrungen umrüsten – die Digitalisierung bleibt eben auch den kleinen Häusern nicht erspart.