Hallo aus dem Süden der Republik – genauer gesagt, hallo aus München!
Ich habe ja nicht ganz unverhohlen hier und da bemerkt, dass ich dieses Jahr wieder auf dem Filmfest München weile. Nun habe ich gerade eine kleine Pause und kostenloses WLAN – da bleiben nicht viele Fragen offen, es wird gebloggt. Was die ersten zwei Tage bisher zu bieten hatten, berichte ich heute.
Gestern erst angekommen aber dank der hervorragenden Festival-Politik, Karten schon zwei Tage im Voraus per Akkreditierung abholen zu können, gehe ich bereits voll bepackt mit Kinokarten von der Kasse weg. Vom Festivalzentrum Gasteig geht es als erstes in meine Zweiwahl am Samstagnachmittag: ins Kino des Filmmuseums. Dort mache ich nicht nur die Bekanntschaft mit dem Debütfilm von Walter Hill (und damit meinem ersten Film des Regisseurs), sondern treffe gleich einen Mainzer Filmwissenschaftsdozenten. Als wäre man nie von zu Hause weggefahren, gibt der nämlich die Einführung zu meiner Festivaleröffnung: HARD TIMES.
Der Film ist mehr oder minder ein Boxer-Drama. Charles Bronson als Einzelgänger, der sich im wahrsten Sinne des Wortes durchs Leben schlägt. In Straßenkämpfen verdient er sein Geld, wird dabei aber von seinem Manager (James Coburn) übers Ohr gehauen. Ein Anti-Buddy-Movie, wie Hill seine Filme meist selbst bezeichnet, mit minimalistischem Schauspiel, harten Kämpfen und einem verdammt guten Hauptdarsteller sorgt für einen perfekten Start in die kommende Woche.
Darauf bleibe ich gleich im Kino, denn es folgt THE DRIVER in der Retrospektive Walter Hill. Die Parallelen sind nur schemenhaft und oberflächlich vorhanden, der Neon-Noir-Thriller von 1978 hat aber ohne Zweifel Nicolas Winding Refns geniales Unikat DRIVE maßgeblich inspiriert. Hill inszeniert mit die besten Autoverfolgungsjagden, die ich bisher auf der großen Leinwand sehen durfte. Durchdrehende Reifen, röhrende Motoren und einen meist stummen Hauptdarsteller ohne Namen. Ryan O’Neal tritt als Driver gegen den Detective (gespielt von Bruce Dern) an. Los Angeles wird hier als Stadt ohne große moralischen Skrupel gezeichnet. Helden sind hier fehl am Platze. Ein fesselnder und packender Film, den ich jedem Noir-Fan ans Herz lege.
Den krönenden Abschluss für den ersten Festivaltag soll dann eigentlich THE ZERO THEOREM von Terry Gilliam besorgen. Sein neuester Streich und Abschluss seines Triptychons nach BRAZIL und TWELVE MONKEYS beeindruckt auf Gilliam-typische Weise. Die Welt ist detailverliebt und wunderbar skurril gestaltet. Christoph Waltz mit Glatze kann zwar in seiner notorischen Rolle nicht immer voll überzeugen, macht mit dem restlichen Cast (u.a. Matt Damon und Tilda Swinton) aber einen guten Job. Die Frage, ob ich den Film wirklich verstanden habe, kann ich nur immer noch nicht beantworten. Eine zaghafte Empfehlung von 1984-inspirierter Science-Fiction.
Tag 2 – Aufwärmen für die Marathons
Heute saß ich dann in der ersten Pressevorstellung auf diesem Filmfest. Die Wahl fällt auf UNE RENCONTRE von Lisa Azuelos. Sophie Marceau, eine erfolgreiche Schriftstellerin, spielt an der Seite von Francois Cluzet, Antwalt, Ehemann und liebender Vater. Die beiden verlieben sich ineinander und schnell beginnen in der von Neonlichtern durchzogenen Romanze Vorstellungskraft und Realität zu durchmischen. Noch nie jedenfalls habe ich mir so sehr gewünscht, dass die Verliebten nicht zueinanderfinden. Ein toller Twist auf Liebesfilm-Konventionen.
Weiter ging es ohne große Umschweife mit YOUNG ONES. Das Regie-Debüt von Gwyneth Paltrows jüngerem Bruder Jake ist ein Endzeit-Drama mit Western-Elementen. Michael Shannon, Kodi Smit-McPhee, Elle Fanning und Nicolas Hoult bilden den illustren Cast. In der Zukunft ist Wasser nach einer langen Dürre zum kostbarsten Gut avanciert. Shannon spielt einen Farmer, dessen Land nicht gewässert werden kann. Durch drei Kapitel, die sich den drei zentralen Männern des Films verschreiben, erzählt Paltrow eine harte Geschichte, die pessimistisch endet.
Im Anschluss folgt das italienische Drama IL CAPITALE UMANO. Paolo Virzì zeigt die Handlung in vier aufeinanderfolgenden Episoden, die je einen anderen Blickwinkel durch eine Figur oder einen Sachverhalt beleuchten. Was mir damals bei VANTAGE POINT nicht so gefallen hat, funktioniert in dem enigmatisch aufgebauten Drama deutlich besser. Eine Geschichte um Erfolg, Liebe und (Un-)Menschlichkeit entspinnt sich, die emotional mitreißt. Vor allem die junge Matilde Gioli ist bezaubernd.
Den Abschluss bildet heute SONYEO (Steel Cold Winter), der in wenigen Minuten starten wird. Damit ist auch mein koreanisches Filmherz hoffentlich befriedigt.
Demnächst folgt dann wahrscheinlich eine Fortsetzung zu diesem Bericht. Bis dahin – viel Spaß im Kino!