Hallo zusammen die Dritte!
Ich komme heute tatsächlich noch einmal zum Schreiben, da mich ein hartnäckiger Insektenstich auf Eis gelegt hat. Nun ja, ich habe Eis darauf gelegt. Darum soll es hier aber nicht gehen, sondern um die vergangenen zwei ereignisreichen Tage auf dem Münchner Filmfest 2014.
Tag 5 – Met the Bloggers (IV)
Bevor ich zum überschriebenen und selbstverständlichem Highlight des fünften Festivaltags komme, standen natürlich auch am Mittwoch einige Filme auf dem Programm. Wie gewohnt beginnend mit Pressevorführungen. Und zwar meiner zweiten Doku hier in München. Nachdem ich ja auf der Berlinale auf den Geschmack dieser Filmgattung gekommen bin, hält sich mein Konsum hier etwas zurück. Nach ARTEHOLIC folgte am Mittwochvormittag Doris Dörries DIESES SCHÖNE SCHEISSLEBEN. Dörrie verfolgt dort weibliche Mariachi (Mariachas? – ich kann kein Spanisch, verzeiht). Die haben nämlich noch mit ihrer Stellung unter der von Männern geprägten Berufsrichtung zu kämpfen. Das verspricht jedenfalls der Programmtext. Nur irgendwie kam das im fertigen Film für mich nicht so extrem rüber. Die Frauen erzählen zwar von ihren früheren Problemen, zu sehen ist davon aber herzlich wenig. Auf der einen Seite weckt das meine Unverständnis für das gewählte Thema. Andererseits ist diese Entwicklung hin zur Akzeptanz doch auch eine erfreuliche. Hätte jedenfalls interessanter sein können.
Vielleicht so wie das Milieu-Drama der Brüder Dardenne DEUX JOURS, UNE NUIT mit der fabelhaft aufspielenden Marion Cottilard in der Hauptrolle. Sie spielt eine Arbeiterin, die nach einer Krankheitspause um ihren Job bangen muss. Denn der Vorgesetzte stellt die Arbeitnehmer vor eine Entscheidung: Entweder ihr Job oder aber ein 1000 Euro Bonus. Diese verzwickte Lage treibt Cottilards Figur in tiefe Depression, dennoch kämpft sie unterstützt von Freunden und ihrem Mann um ihre Anstellung. Diese seelische Tour-de-Force wird eindringlich gespielt und in seiner unerbittlichen Art von der Kamera eingefangen. Dieses Drama nimmt mit.
Immer mal wieder gibt es hier aber auch Enttäuschungen. Nahezu an Zeitverschwendung reicht Jim Mickles neuer Film COLD IN JULY heran. Von ihm selbst als „Southern Noir“ beschrieben – was auch immer das bedeuten mag, nach Film Noir-Elementen sucht man jedenfalls vergeblich. In der ersten Hälfte inszeniert Mickle noch einen klischeebeladenen, aber wirkungsvollen Thriller, dessen Machart zunehmend in eine Art Rachegeschichte umgekehrt wird, die deutlich actiongeladener und Gore-reicher überzeugen will. Der Genrebeitrag mag unterhaltsam sein, ja – aber leider selbst für sich genommen wenig sinnig.
Den bis dahin noch recht durchwachsenen Tag konnte dann doch eigentlich nur ein deutscher Beitrag retten. Wieder gelingt einem Debüt dieses Kunststück! HIRNGESPINSTER von Christian Bach nimmt den Zuschauer mit in das Erwachsenwerden eines Jungen, dessen Vater schizophren ist. Mit der Krankheit wird sehr ernsthaft umgegangen, obwohl sich Bach immer wieder humorvolle Spitzen erlaubt – und sich auch erlauben kann. Es tut wirklich weh, den Hauptdarsteller in seinem inneren Kampf um Verantwortung und Selbstbestimmung zuzusehen. Wieder ein Drama, welches mich von Anfang an packen konnte.
Und nun – ja, endlich komme ich zum Bloggertreffen. Das fand am Mittwoch Abend nahe des Festival-Zentrums im Restaurant gast statt. Dieses Mal lud ich ein, was bisher meines Wissens nach immer von Alex Matzkeit ausging, der leider nicht nach München reisen konnte. Glücklicherweise konnte ich dieses Treffen als Erfolg verbuchen. Man unterhielt sich über das Festival, den allgemeinen Filmgeschmack, über eigene Projekte und auch immer wieder über die Blogosphäre, Ideen zu Kooperationen und die Frage, ob man finanziell nicht auch mehr mit Blogs erreichen könnte. Hoffentlich können einige Anstöße weitergetragen werden.
Ich danke jedenfalls allen, die gekommen sind – so zahlreich auch noch: Conrad (CinemaForever), Joachim (Kino-Zeit), Christian (Negativ), Sophie (Filmosophie), Tim (Bad im Bilderstrom), Florian (Series Entertainment), Denis (Berliner Filmfestivals), Thomas (Perlentaucher), Deniz (Don’t Panic It’s Organic) [wen ich hier vergessen habe, bitte sagt mir bescheid!]
Tag 6 – geht unter die Haut
Der Donnerstag ist da und mit ihm mal keine Pressevorführungen. Stattdessen bemühe ich die Mediathek des Filmfests, in der man gemütlich auf dem Sofa auf dem Laptop den Großteil der Festivalfilme sehen kann – tolle Sache. Und so konnte ich den Film DESSAU DANCERS nachholen. Der deutsche Tanzfilm hat mich in der richtigen Stimmung erwischt und versprüht echte Lebensfreude. 1985 in der DDR spielend, findet der Breakdance seinen Weg in die Köpfe und Körper der Jugend. Die tollen Tänze werden mit politischem Kontext (Individualisierung, Kaptialismus, Konformität, etc.) super gemischt, ohne zu ernst zu werden. Der lockere Stil tut dem Film gut und versprüht damit beste Laune.
Vivian Qu durfte sich auf der Berlinale mit über den Goldenen Bären freuen. Die Produzentin des Gewinnerfilms BLACK COAL, THIN ICE, ist in München mit ihrem eigenen Film TRAP STREET vertreten. Der Paranoia-Thriller bettet ganz ungezwungen eine Liebesgeschichte ein, die mit Herz, aber auch Distanz erzählt wird. Qu erlaubt sich deutlich weniger stilistischer Ausuferungen als der Berlinale-Gewinner, besticht aber durch seine präzise Kameraführung.
Wie bereits im vergangenen Jahr besuchte ich auch das Kinderfilmfest München, das eine eigene Sektion für die jüngeren Zuschauer bietet. Mit einem wirklich namhaften Cast will die Kinderbuch-Verfilmung RICO, OSCAR UND DIE TIEFERSCHATTEN bald in den Kinos durchstarten (die Fortsetzung ist schon angekündigt). Der tiefbegabte Rico lebt bei seiner Mutter in Berlin. Die Hauptstadt wird von „Mister 2000“ in Atem gehalten, der Kinder entführt und nicht zu fassen ist. Als jedoch Ricos bester Freund Oscar unter dessen Opfer gerät, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich Rico auf die Suche begibt. Mit Karoline Herfurth, Axel Prahl, David Kross, Milan Peschel, Ronald Zehrfeld und den Kinderdarstellern Anton Petzold und Juri Winkler wirklich bestens besetzt.
Größer und deutlicher konnte der Kontrast kaum werden, bis zum von mir am heißesten erwarteten Film des Festivals, Jonathan Glazers UNDER THE SKIN. Verleiher Senator verwehrt dem unkonventionellen Sci-Fi-Thriller einen Kinostart und „verbannt“ den Film als Direct-to-DVD im Herbst. Empörung im Netz ließ nicht lange auf sich warten. Wie ist der Film aber nun? Derzeit, mit einer Nacht Schlaf danach, tendiere ich zu den jubelnden Kritikern mit dem Prädikat „Meisterwerk“. Seine Länge merkt man dem Film tatsächlich etwas an. Dafür ist Glazers Film unglaublich dicht, stilsicher und atmosphärisch in allen Belangen durchkomponiert, dass er mich einfach in seinen Bann zog. Ganz so wie Scarlett Johansson ihre männlichen Opfer. Wer enigmatische Thriller mag, sollte sich den Film nicht entgehen lassen! Kleiner Tipp: Das Fantasy Filmfest wird im Sommer vielleicht die letzte Möglichkeit bieten, den Film auf der großen Leinwand zu sehen, wo er auch tatsächlich hingehört.