Gone Girl (2014)

Kritik

Wenn David Fincher einen neuen Film auf die Masse loslässt, horcht man immer erstmal auf. Der hochdekorierte Regisseur zeichnet sich eben verantwortlich für so hervorragende wie unterschiedliche Werke wie SE7EN, FIGHT CLUB oder THE SOCIAL NETWORK. Thematisiert wird dennoch oftmals die dunkle Seite des Menschen, ein Merkmal, dass auch auf Finchers GONE GIRL zutrifft. Dieser basiert auf Gillian Flynns gleichnamigen Bestseller und bedient sich damit einer extrem fesselnden Vorlage.

Anfänglich erinnert GONE GIRL an Entführungs-Thriller à la PRISONERS: An ihrem fünften Hochzeitstag verschwindet Amy (Rosamunde Pike). Die Polizei setzt eine groß angelegte Fahndungsaktion in Gang, in die auch freiwillige Helfer involviert sind. Der Fall ist eine Mediensensation, da Amy das Vorbild für die Kinderbuch-Figur „Amazing Amy“ darstellt, die ihre Eltern erfanden. Schnell kommen jedoch Zweifel an der vermeintlichen Entführung auf. Gerade Amys Gatte Nick (Ben Affleck) verhält sich geradezu peinlich verdächtig und hatte eine Affäre. Hat er vielleicht seine Frau umgebracht?

© 2014 Twentieth Century Fox

© 2014 Twentieth Century Fox

Diese Wendung stellt nur die erste von vielen in der großzügigen Laufzeit von 149 Minuten dar. Wo andere Entführungsfilme mit der Aufklärung des Falls enden, geschieht dies aus Sicht des Zuschauers in GONE GIRL recht früh. Von dort wandelt sich der Film zum Justizdrama, zum öffentlichen psychologischen Rosenkrieg und zur Farce und führt eine zunächst altbekannt scheinende Geschichte immer weiter fort. Viele der Wendungen können zwar vorhergesehen werden, doch das tut der Qualität des Films keinen Abbruch. Fincher geht es nicht darum, den Zuschauer ständig mit Plottwists zu überraschen, wie er es vielleicht in THE GAME tat, er nutzt die neuen Entwicklungen der Handlungen stattdessen, um die Figuren und ihr Miteinander schmerzhaft genau zu sezieren.

Zunächst steht die Polizeiarbeit im Vordergrund, die einer Schnitzeljagd gleichkommt. Diese wird konstant von (Boulevard-)Medien überwacht und kommentiert, die auf der Suche nach der nächsten Schlagzeile und dem nächsten Skandal eindeutige Überzeugungen vertreten und das Ideal des objektiven Journalismus vollständig auflösen. Werden Figuren mit Medien konfrontiert, dürfen sie sich nicht an die Wahrheit oder ihre Version davon halten, sie müssen sich vielmehr als sympathisch und glaubwürdig inszenieren, damit ihnen Glauben geschenkt wird. Es zählen keine Fakten, sondern emotionale Faktoren. Und auch die einzelnen Polizisten haben eindeutige Vorstellungen davon, wie sich das Verbrechen abgespielt haben muss und handeln dementsprechend bei den Ermittlungen.

© 2014 Twentieth Century Fox

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In Rückblenden erfährt man, wie sich Nick und Amy kennenlernten und sich ihre Beziehung entwickelte. Sie werden einerseits von Amys Tagebucheinträgen eingeleitet, andererseits von Aussagen Nicks. So entstehen zwei Sichtweisen einer zu scheitern drohenden Ehe, woran der jeweils andere Schuld sei. Dies dient als Fundament: Im Anschluss dekonstruiert Fincher genüsslich die Institution Ehe und das Zusammenleben von Mann und Frau mit all seinen Konventionen. Er zeigt auf, wie man sich für das andere Geschlecht verstellt, wie unterschiedlich die Wünsche an einen Partner sind und dass es letztendlich doch nur um die Erfüllung dieser geht. In GONE GIRL stellen die Figuren fest, dass die Person, in die sie sich verliebt haben, nicht mehr existiert oder vielleicht sogar nie existiert hat. Mit diesem Dilemma gehen sie unterschiedlich um, alle Wege führen aber grundsätzlich ins Verderben. Mann und Frau manipulieren sich gegenseitig, sind einander scheinbar niemals ebenbürtig, sondern stetig wechselnd über- oder unterlegen.

Die entstehende Tragik setzt Fincher dabei mit einem teils bitterbösen Humor um, der an die Dekonstruktion des Vorstadtlebens in AMERICAN BEAUTY erinnert. Seine Figuren lässt er eine Tortur durchleben, für Nick und Amy geht es auf unterschiedlichem Wege vom Regen in die Traufe. Besonders eindrucksvoll zeigt sich das mit dem Auftauchen Desis (Neil Patrick Harris), das Amys Pläne durcheinander würfelt. Einen Sinn für tief-schwarzen Humor zu besitzen ist sicher hilfreich, um Gefallen an den Einwürfen des Anwalts Tanner Bolt (Tyler Perry) oder besonders an Amys späterem Handeln zu finden. Zynisch blickt Fincher auf auch auf mediale Berichterstattung und die sich davon beeinflussen lassende verdummte Zuschauerschaft. GONE GIRL treibt dieses ständige Spiel um Schein und Sein mit seinem Ende schließlich auf die Spitze: Nicht nur unserem Partner verheimlichen wir Dinge und spielen ihm oder ihr etwas vor, sondern auch der Öffentlichkeit. Das perfekte Bild der „Amazing Amy“ beispielsweise ist eine Fassade, hinter der eine traurige Kindheit stecken dürfte. Wie gerne würden wir wissen, was tatsächlich in den Köpfen der anderen vor sich geht und wie schwer tun wir uns damit, sie wirklich zu verstehen.

© 2014 Twentieth Century Fox

© 2014 Twentieth Century Fox

Handwerklich dürften David Finchers Filme über jeden Zweifel erhaben sein. Für alle Zweifler: Auch auf GONE GIRL trifft dies zu. Die düsteren Szenen bestechen durch eine wunderbare Ausleuchtung, etwa bei einem Kuss im Schnee oder an einem verfallenen Treffpunkt von Obdachlosen. Gerade die Auflösung der Szenen und die Schnittarbeit stechen zudem hervor. Bei vielen Dialogen zeigt Fincher oftmals nicht konventionell den Sprechenden, sondern den Reagierenden, und erlaubt dem Zuschauer so Rückschlüsse auf dessen Interpretation des Gesagten. Einige Matchcuts sorgen für verwirrende Zusammenhänge, wo etwa eine Zärtlichkeit in ein Polizeiverhör übergeblendet wird, was sich gerade bei weiteren Sichtungen als spannend erweisen dürfte. Und mit einer fürs Mainstream-Kino ungeheuer brutalen Szene zeigt Fincher gegen Ende auch mal wieder, dass er mit seinen Gewaltspitzen noch so schocken kann wie in den 90ern.

GONE GIRL ist eines der Highlights im Herbst 2014. Die Elemente aus Thriller, schwarzer Komödie, Psychoduell und Gesellschaftskritik fügen sich harmonisch zu einem ganzen zusammen. Finchers Film fügt sich als weiteres Sahnestück in sein Schaffen ein, das duch weitere Sichtungen nur gewinnen dürfte. Vielleicht kann ich dann auch die Symbolik der Katze vollständig entschlüsseln. Ich freue mich jetzt schon darauf. Was kann man mehr erwarten?