Verbrechen (2013)

CineCouch Kritik Jan

Es ist ja irgendwie seltsam. Obwohl wir alle auf der CineCouch natürlich große Filmliebhaber sind, gucken wir hin und wieder auch Serien. Doch darüber haben wir bisher weder gesprochen noch geschrieben. Dass ausgerechnet ich mit einer deutschen Krimi-Serie den Anfang mache, ist wiederum bemerkenswert. Genau wie diese Serie auch.

Nach Erzählungen des Schriftstellers Ferdinand von Schirach hat sich das Zweite Deutsche Fernsehen – ZDF – an die Verfilmung eben dieser gemacht. Ja, ihr habt richtig gelesen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat mal wieder eine Kriminalserie aus dem Boden gestampft. Das ist aber wahrlich kein Grund zum Weglaufen. VERBRECHEN, so der Titel der Serie und des gleichnamigen Buches, ist nämlich mal ganz anders erzählt als die üblichen Vertreter des Genres.

Die Miniserie bestehend aus sechs Episoden zu je knapp 45 Minuten (damit also so lang wie etwa eine Staffel der erfolgreichen BBC-Serie SHERLOCK) wagt tatsächlich einiges mit ihrem Sujet: Im Mittelpunkt der nicht zusammenhängend erzählten Folgen steht der Strafverteidiger Friedrich Leonhardt (Josef Bierbichler), der sich um teils sehr kuriose, aber durchaus durch reale Fälle inspirierte Mandanten kümmern muss. Dabei verspürt der Anwalt ganz offensichtlich keine großen Gewissensbisse bei seiner Arbeit. Denn der Slogan lautet: „Ob der Mandant schuldig ist oder nicht, spielt keine Rolle.“ Und darin steckt das besondere Etwas, der Kniff der gesamten Reihe. Anders als in den wie wild aus dem Boden sprießenden Crime-Serien, egal ob aus Deutschland, den USA oder sonst woher, handelt VERBRECHEN von Recht im Rechtsstaat. Natürlich spielen Recht, Ordnung und Gesetz auch in den übrigen Genre-Vertretern eine tragende Rolle, doch werden sie immer wieder von dem Sinn und Verlangen nach Gerechtigkeit in den Schatten gestellt.

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In den Fällen nach Schirachs Erzählungen, übrigens selbst ein Strafverteidiger, ist Gerechtigkeit nichtig. Das mag moralisch oftmals beim Zuschauer anecken, ist genauso aber auch gewollt. Über die einzelnen Folgen soll inhaltlich gar nicht viel gesagt sein, von Mord und Totschlag bis hin zu Einbrüchen und Diebstählen ist schon eine ganze Bandbreite von Straftaten vertreten. Dabei braucht VERBRECHEN jedoch etwas zu viel Zeit, um sich seines Stiles sicher zu sein.

Visuell ist die Serie ungewöhnlich stark für eine deutsche Fernsehserie umgesetzt, noch dazu eines öffentlich-rechtlichen Senders! Eine Lichtsetzung mit oft sehr hart einfallendem Licht, das tiefe Schatten in die Gesichter der Figuren wirft, viele Jumpcuts und der häufige Gebrauch diverser Videofilter machen das Geschehen zu einem bildlich interessanten und durchaus eindrucksvollen Erlebnis. Ab und zu wird dieser Stil jedoch leider etwas übertrieben genutzt und sorgt so mehr für Ablenkung vom eigentlichen Geschehen.

Wer wie ich die Serie bei ihrer Erstausstrahlung verpasst hat, wird sich beispielsweise auf Netflix etwas wundern, wurde auf der Streaming-Plattform doch die Reihenfolge der Episoden aus unerfindlichen Gründen abgeändert. Schade ist allerdings, dass ein Versuch in der Folge „Notwehr“ eine horizontale Erzählweise über die einzelne Folge hinaus nicht ausgekostet wird – hier wäre durchaus mehr Vertrauen in den eigenen Stoff möglich und dankenswert gewesen. Nach einem anfänglichen Fremdeln mit der Serie werden jedoch Figuren, Kriminalfälle und das audiovisuelle Gesamtpaket zu einem wahren Schmaus – nicht nur für Krimi-Fans. Dabei stehen in den Folgen entweder gar nicht die genauen Tatvorgänge zur Debatte, auf Whodunnits wird gar komplett verzichtet, sondern es sind eher die persönlichen Geschichten der Mandanten, für die sich VERBRECHEN interessiert.

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Ein ganz großer Verkaufspunkt der Serie ist Hauptdarsteller Josef Bierbichler. Er gibt als Leonhardt nicht nur eine extrem charismatische und clevere Figur ab, sondern weiß mit seiner gesamten Aura und seiner Körpersprache ganz und gar zu fesseln. Mit seinem, für den neutralen und noch eher durch (insbesondere) deutsche Krimi-Serien wie TATORT oder die ZDF-Abendserien geschulten Zuschauer, sehr schrägen Weltbild und einem ja fast schon zynischen Unterton in seinen Kommentaren, gibt er einen mal ganz anderen Protagonisten für solch eine Produktion ab. Seinen Worten pflichtet man aus dem Grunde solch eine hohe Bedeutung bei, weil er nur spricht, wenn es wirklich notwendig ist – dafür gebührt den Autoren selbstverständlich ebenfalls ein großes Lob.

Und damit passt er perfekt in das Gesamtbild der Mini-Serie VERBRECHEN. Sie ist gewagt, zynisch, fesselnd, ambivalent und im allerbesten Sinne anders. Einen vergleichbaren Umgang mit der Oberthematik Kriminalität habe ich zumindest noch nirgends gesehen, vor allem aber nicht in deutschen Fernsehproduktionen. VERBRECHEN zeigt, dass Qualität in der deutschen Serienlandschaft durchaus in den letzten Jahren vorhanden ist. Man muss sich nur den geeigneten Stoffen zuwenden. Und so ist durchaus Anlass zur Freude geboten, dass mit SCHULD bereits der Nachfolger nach dem nächsten Bestseller nach Schirach vom ZDF geordert wurde und Anfang 2015 ausgestrahlt wird. Dann leider nicht mehr mit Josef Bierbichler in der Hauptrolle. Den ersetzt aber mit Moritz Bleibtreu ein nicht minder illustrer Name.

VERBRECHEN in der IMDb
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