© Disney Inc.
IMDb / Letterboxd / dt. Kinostart: 25.05.2017 / USA 2017, R: Joachim Rønning, Espen Sandberg
Das Hollywood-Studio Disney erfährt derzeit einen unvergleichlichen Aufwind. Nach der Akquise der Marvel-Studios (und dem anschließenden Auf- und Ausbau des MCUs) und vor wenigen Jahren Lucas-Film und dem Revival der STAR WARS-Reihe bestimmt das Studio das weltweite Box-Office. Kürzlich erhalten die Disney-Prinzessinnen eine Frischzellenkur – wie man erwarten konnte – erfolgreich. Nun wird das überaus erfolgreiche Franchise PIRATES OF THE CARIBBEAN, basierend auf einer Disneyland-Attraktion, fortgesetzt mit alten Bekannten und Altbekanntem.
2003 war es noch ein großes Wagnis: THE CURSE OF THE BLACK PEARL ist ein Blockbuster mit neunstelligem Budget in einem Genre, das längst seine Segeln gestrichen hat: der Piratenfilm war Kassengift, aus den 90er Jahren steht DIE PIRATENBRAUT als Mahnmal Parade. Doch das Risiko wurde belohnt. Die hierzulande als FLUCH DER KARIBIK getaufte Reihe wird zum Hit, allen voran dank ihres Hauptdarstellers Johnny Depp, der den tuntigen Kapitän Jack Sparrow zu einer der markantesten Leinwandfiguren der jüngeren Vergangenheit machte. 14 Jahre später steht eine Trilogie mit gewissem Stamm-Cast (u.a. Keira Knightley und Orlando Bloom) und ein vierter Teil mit vielen neuen Figuren zu Buche. Der vierte Teil, mit Abstand der am wenigsten gelungene, verzichtete erstmals auf viele liebgewonnene Charaktere und auf das gewisse Piraten-Flair. Nun geht Disney den geglaubt sicheren Pfad: Back to the roots – und damit auch zurück zu alter Stärke?
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Henry Turner (Brenton Thwaites) will den Fluch seines Vaters Will (Bloom), der an das Schiff „Flying Dutchman“ gebunden ist, aufheben. Der Sage nach soll Poseidons Dreizack seinem Träger die Macht über die Ozeane und seine Flüche verleihen: Nur weiß niemand, wie man den sagenumwobenen Gegenstand finden kann. Jack Sparrows (Depp) magischer Kompass könnte da nützlich sein. Doch scheint Jack das Glück ein für allemal verlassen zu haben, ohne Schiff, Crew und Schätze wird er vom britischen Empire gefangen gehalten. Gemeinsam mit Henry und der gelehrten, aber als „Hexe“ gejagten Carina (Kaya Scodelario) machen sie sich auf die Suche nach dem Dreizack, gefolgt vom verfluchten Geisterkapitän Salazar (Javier Bardem), der mit Jack noch seine eigene Rechnung zu begleichen hat.
DEAD MEN TELL NO TALES stellt wie kein anderer Film der Reihe zuvor seine neuen Figuren in den Mittelpunkt. Henrys Aufgabe, sein Wunsch, seinen Vater von seinem Fluch zu befreien bestimmt das Handeln ebenso, wie Carinas Wunsch, das Erbe ihres Vaters anzutreten, indem sie dem Pfad zu Poseidons Dreizack folgt. Der eigentliche Held der Reihe, Jack Sparrow, gerät da schon fast in den Hintergrund. Dennoch wird auch ihm ein Handlungsbogen zuteil, der ihn so weit wie noch nie scheitern lässt, gleichzeitig eine Art von Origins-Story entwirft und auf verschiedene Wege wird doch immer wieder versucht, ihn in den Mittelpunkt zu stellen. Das Resultat ist ein fahriges Hin und Her zwischen mehreren Handlungssträngen, die in der obigen Zusammenfassung nicht einmal ansatzweise aufgedröselt werden können. Gerade im weiteren Verlauf der Handlung verliert sich das Drehbuch in seiner Fülle an Geschichten und wirkt streckenweise unnötig aufgebläht und kompliziert, am Ende werden die Stränge hastig miteinander verknüpft. So richtig glücklich wird man letztlich mit keinem.
Und das ist sehr schade: Insbesondere Carina ist ein willkommener Zuwachs in der Pirates-Crew. War schon Elizabeth Swann in den Vorgängerfilmen eine durchaus aktive Figur, der immer mehr Bedeutung zuteil wurde, aber letztlich doch zu sehr von ihren männlichen Konterparts abhing, steht Carina noch mehr auf eigenen Beinen. Denn sie ist tatsächlich in vielen Situationen die überlegene Figur, was die Männer der Schöpfung dadurch zu kompensieren versuchen, sie als Hexe zu diffamieren. Daraus resultieren gerade in der ersten Hälfte äußerst gelungene Gags und eine süffisante Figurenkonstellation, in der leider Jack Sparrow durch chauvinistische Äußerungen negativ auffällt. Die lange angedeutete, aber eher zurückgenommene Romanze zwischen Carina und Henry rückt angenehm in den Hintergrund und bricht sich in den rechten Momenten Bahn.
Statt auf die Handlung sollte man sich ohnehin eher auf die Setpieces konzentrieren. Nach ON STRANGER TIDES, der mehr Abenteuer- als Piratenfilm war (kaum Szenen auf See beinhaltete), besinnt sich das Regie-Duo mehr auf die ersten drei Teile, ohne deren Klasse zu erreichen. Die Wasserschlachten sind zwar opulent ausgestattet und es geht einiges zu Bruch, ihnen fehlt aber die Dramatik des Kampfes im Malstrom des dritten Teils. Dafür wurde gerade Salazars Schiff ein erinnerungswürdiges Design verpasst und Fans der Reihe freuen sich auf ein besonderes Wiedersehen mit einem ganz besonderen Schiff. Auf Land geht es ebenfalls wieder hoch her. Ein ungewöhnlicher Bankraub durch die Straßen einer Hafenstadt macht optisch einiges her, hier sitzen insbesondere die kleinen Gags, die typisch für Sparrows kuriose Pläne und deren Umsetzung sind.
Die Rückkehr zum Kern der Reihe in Stil und Handlungsverlauf bringt zwar einige nostalgische Gefühle zum Vorschein, kurze Auftritte und Cameos von bekannten Charakteren seien hier vor allem zu nennen, auf der anderen Seite aber auch einen weiteren Schwachpunkt des Films zum Vorschein: Die Variationen innerhalb der Reihe stecken deutlich hinter den Wiederholungen zurück, heißt: Viele Szenen rufen zu sehr Erinnerungen an die originelleren Versionen der Vorgänger wach.
Bliebe noch Salazar als Bösewicht. Javier Bardem hat bereits in etlichen Filmen (bravourös im Neo-Western NO COUNTRY FOR OLD MEN) bewiesen, dass er sich als charismatischer Antagonist eignet. Zwar leidet sein Schauspiel unter großem CGI-Einsatz seines Äußeren, seine Motivation wird aber ausreichend dargelegt. Um hier noch einmal den Bogen zu Jacks Origin-Story zu schlagen: So hat der schrullige Pirat eine höchst wichtige Rolle im untoten Dasein Salazars gespielt. Zum ersten Mal überhaupt nutzt die Reihe einen Rückblick, um das Verhältnis von Bösewicht und Held darzustellen. Wie aus vergangenen Disney-Blockbustern gewohnt, taucht hier ein digital verjüngtes Abbild Johnny Depps auf. Erneut ist der CGI-Einsatz beeindruckend, wenngleich das allgegenwärtige Uncanny Valley nicht verlassen wird. Die Diskussionen um diese Verjüngungskur wird aber keineswegs die Wellen eines wieder zum Leben erweckten Peter Cushing schlagen.
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DEAD MEN TELL NO TALES bietet 128 amüsante Minuten, die in der zweiten Hälfte jedoch etwas an Fahrt verlieren. Die Handlung und Figurendichte wird zu sehr aufgebläht, als dass ein rundes Ganzes daraus entsteht. Dass sich der Film zurück auf die ersten drei Filme besinnt (und auch deren Handlung fortführt) erweist sich als Fluch und Segen zugleich: Auf der einen Seite ist die Mischung aus Fantasy-/Horror- und Piratenfilm wieder schmackhaft. Andererseits haftet dem Film in etlichen Szenen an, alles in sehr ähnlicher Form schon besser, opulenter, lustiger und origineller gesehen zu haben. Nichtsdestotrotz ist das Wiedersehen mit Jack Sparrow ein unterhaltsamer Popcornfilm geworden.