Haywire (2011)

Kritik

Seit Steven Soderbergh Anfang der 1990er Jahre für sein Debüt SEX, LIES AND VIDEOTAPE als neues Regie-Wunderkind gefeiert wurde, ist einige Zeit vergangen. Der Mann konnte die riesigen Erwartungen zwar nie vollends erfüllen, feierte jedoch mit der OCEAN’S-Serie oder TRAFFIC große Erfolge bei Kritikern und Publikum gleichermaßen.
Im letzten Jahr kündigte er an, eine Auszeit vom Filmschaffen nehmen zu wollen, unter anderen aus Frustration über den eigenen kreativen Stillstand. Grund genug, sich mit HAYWIRE einen seiner aktuelleren Filme anzusehen und ihn darauf zu prüfen.

„(To) go haywire“ bedeutet im Englischen soviel wie durchdrehen oder außer Kontrolle geraten. Genau das wird Ex-Marine und Söldnerin Mallory Kane (MMA-Kämpferin Gina Carano) vorgeworfen. Der Film beginnt in einem amerikanischen Diner: Nach einem heftigen Kampf mit ihrem Kollegen Aaron (Channing Tatum) flieht Mallory mit einem Passanten. In dessen Auto und erzählt sie dem mehr oder minder Entführten ihre Geschichte, die ab sofort in Rückblenden erzählt wird.

An sich war mein Plan als Rezensent an dieser Stelle, die Geschehnisse nachzuerzählen. Doch das ist gar nicht mal so einfach. Zunächst war da einige Wochen zuvor ein Job in Barcelona, bei dem die Geisel Jiang gerettet werden soll. Wer das ist und warum er wichtig ist, wer ihn entführte und wer ihn befreien will – das alles ist dabei nicht nur undurchsichtig, sondern scheinbar auch von geringer Wichtigkeit. Stattdessen bekommt man direkt einmal eine Fülle von involvierten Figuren präsentiert: Ewan McGregor, Michael Douglas und Antonio Banderas mit Vollbart sind offensichtlich extrem wichtige Strippenzieher und bekommen daher zu Beginn jeder ein bis zwei Szenen, die mehr verwirren als begeistern.

Bei der Erfüllung des Auftrages in Barcelona wird dann munter zwischen verschiedenen Mitgliedern von Mallorys Team und einem Antagonisten hin- und her geschnitten. So verliert man schnell den Überblick über die jeweiligen Tätigkeiten, zumal der Plan vorher nicht näher erörtert wurde. Der Ton wird in dieser Sequenz vollständig ausgeblendet, bis auf den Score von OCEAN’S-Komponist David Holmes. Dieser klingt in etwa so wie die launige Heist-Komödie gekreuzt mit Fahrstuhl. In der OCEAN’S-Reihe wäre er auch definitiv besser aufgehoben gewesen, in einem harten und realistischen Agententhriller ist er dagegen völlig deplatziert.
Beim zwangsläufig folgenden Aufeinandertreffen der Parteien serviert Soderbergh dann einen der langweiligsten Shoot-Outs, die ich je gesehen habe. Das Geschehen bleibt weiterhin fast tonlos, abgesehen von unerklärlicherweise gedämpften Pistolenschüssen. Teilweise ist die katalanische Szenerie dabei in schwarz-weiß eingefärbt worden, denn das suggeriert ja bekanntlich Anspruch und Stil.

Doch damit nicht genug: Auf jede Schießerei folgt natürlich eine Verfolgungsjagd. Also flieht einer der Geiselnehmer, woraufhin sich Mallory bemüßigt fühlt, ihm nachzurennen. Lange. Seeeeehr lange. Nicht falsch verstehen: Ich rege mich immer wieder gerne über zu schnell geschnittene Actionsequenzen auf, bei denen man als Zuschauer den Überblick verliert. Doch es ist keinesfalls besser, zwei Figuren eine gefühlte Ewigkeit beim Laufen zuzuschauen. Ich habe noch einmal nachgeschaut: Es sind fast 90 Sekunden, in denen zwei Menschen ein paar Straßen entlang hetzen. Ohne Parcours-Einlagen und ohne Hindernisse. Nur Menschen im Galopp. Das mag vielleicht bei LOLA RENNT funktioniert haben, weil ich verdammt noch mal wusste, warum Lola es so eilig hat und der Film mit einem pumpenden Techno-Score unterlegt war.
In HAYWIRE dagegen verfolgt eine Frau, die ihren Auftrag eigentlich abgeschlossen hat und nun mit Kollegen und der befreiten Geisel nach Hause fahren kann, einen Typen, von dem ich nichts weiß, außer dass er offensichtlich böse sein muss. Das langweilt in etwa genauso sehr wie die uninspirierte Kameraarbeit an dieser Stelle. Viel mehr als Halbtotalen gibt es nicht zu sehen.

Zu allem Überfluss folgt auf diese Ansammlung von schlechten Ideen ein gänzlich neuer Auftrag und alles ist vorerst vergessen. Ab nach Dublin: Mallory spielt Ehepaar mit Agent Paul (Michael Fassbender). Besonders schön sind dabei die unfassbar dummen Dialoge, die die beiden austauschen müssen („Darf ich zuerst ins Bad? Du brauchst vermutlich länger“), sowie eine unfreiwillig komische Szene, in der Fassbender einen halb vollen Whiskey mit den Worten „Ich hab‘ ausgetrunken“ stehen lässt, um sich drei Sekunden später einen neuen zu bestellen.

Kurz dararuf stellt Mallory fest, dass es irgendein Komplott gegen sie gibt und killt sich ein bisschen durch die Gegend. Erwähnenswert ist dabei eine weitere überlange Verfolgungsjagd, bei der unsere Heldin vor mehreren Polizisten über die Dächer Dublins flieht. Sie variiert dabei völlig sinnfrei ihr Tempo zwischen Vollsprint und Schleichen, muss über Vorsprünge klettern und springen, die in der nächsten Einstellung nicht mehr zu erkennen sind und entkommt letztendlich mithilfe eines Autos. Natürlich mit genau so weit geöffneter Scheibe, dass Mallorys Arm hindurchpasst.
Und dann kann sie fliehen. Mit dem Auto? Neee! Sie zieht sich bloß das Sweatshirt aus dem Innern des Fahrzeug an und ist in dieser Verkleidung natürlich beim besten Willen nicht mehr von der Polizei zu erkennen.

Der eine oder andere wird es schon bemerkt haben: Ich halte HAYWIRE für ganz großen Mist. Ich könnte noch mindestens ein halbes Dutzend Momente nennen, die völlig in die Hose gehen, möchte mir und euch das aber dann doch ersparen. Die bisher genannten Details sollten verdeutlichen, dass Soderbergh in seinem Thriller zwar viel versucht, um eigenständig zu wirken und dem Genre Neues abzugewinnen. Doch zumeist endet das sinnfrei, unfreiwillig komisch und nicht gut durchdacht.
Dabei gibt es Pluspunkte: Die großartige Darstellerriege reicht eigentlich für zwei Filme und die Kampfchoreographien hat man auch schon schlechter gesehen. Auch gibt es einige schön inszenierte und beleuchtete Dialogszenen. Das Gesamtresultat ist leider dennoch eine herbe Enttäuschung, die einen nicht allzu traurig über das Wissen hinterlässt, dass Soderbergh die Filmbranche vorerst hinter sich gelassen hat.