A Most Violent Year (2014)

CineCouch Kritik Niels


IMDb / Letterboxd / USA 2014, R: J.C. Chandor


Eines der beherrschenden Themen im Kino der Vereinigten Staaten ist seit Urzeiten der Amerikanische Traum. Vom Tellerwäscher zum Millionär – diesem romantisierten Erfolgsversprechen bei etwaigem Fleiß folgten Generationen. J.C. Chandors neuester Streich A MOST VIOLENT YEAR reiht sich in eine lange Riege von Produktionen ein, die sich im Laufe der Filmgeschichte kritisch mit der tatsächlichen Umsetzung des American Dream auseinandergesetzt haben. Denn allein das Streben nach dem gesellschaftlichen und beruflichen Aufstieg führt diesen lange nicht herbei.

Ein Mann joggt durchs winterliche New York der frühen 1980er Jahre. Mit hohem Tempo und fast gnadenloser Entschlossenheit legt er seine Laufstrecke zurück. Immer wieder wird er im Filmverlauf vergleichbare Assoziationen hervorrufen, etwa als er einen Einbrecher durch den Schnee verfolgt und sich dabei auch von einer tiefen Schnittwunde am Fuß nicht aufhalten lässt, oder als er einen Verdächtigen im Auto verfolgt und währenddessen diverse rote Ampeln überfährt. Es handelt sich bei diesem Protagonisten um Heizöl-Unternehmer Abel Morales (Oscar Isaac). In seine Firma Standard Oil begann er einst als Fahrer, arbeitete sich im Laufe der Jahre dann so weit hoch, dass er sie später dem Vater seiner heutigen Ehefrau Anna (Jessica Chastain) abkaufen konnte. In der Branche herrscht harte Konkurrenz und kriminelle Methoden sind an der Tagesordnung: Die Flotte des Unternehmens wird immer wieder überfallen und ausgeraubt. Zudem übt der Staatsanwalt (David Oyelowo) Druck aus, da ihm Hinweisen auf unsaubere Geschäfte vorliegen. Abel ist fest entschlossen, ausschließlich rechtschaffene Antworten folgen zu lassen. Er plant derweil durch den Kauf eines riesigen Depots zu expandieren. Doch als ihm aufgrund der kriminellen Vorgänge ein sicher geglaubter Kredit verweigert wird, droht sich sein gesamtes Lebenswerk aufzulösen.

1© Universum Film

A MOST VIOLENT YEAR präsentiert den fortwährenden Kampf eines Unternehmers, seine Geschäftsziele im Haifischbecken aus Politik und Vetternwirtschaft zu erreichen und dabei dennoch auf dem rechten Pfad zu verbleiben, als Utopie. Dies ist wohl auch als Allegorie auf den American Dream zu lesen, den im Endeffekt nur erreicht, wer bereit ist, sich die Hände schmutzig zu machen. Abel Morales wird so zur tragischen Figur: Für ihn hat sich der Amerikanische Traum erfüllt, er strotzt vor Selbstbewusstsein und kann größtenteils auch auf das Wie seiner Erfolge stolz sein. Doch als von den Umständen Getriebener muss er seine Maxime, immer den „most right way“ zu verfolgen, nach und nach begraben.

Besonders augescheinlich wird dies anhand des Beziehungsgeflechts um Abel, dem von sämtlichen Seiten die Unterstützung entzogen wird, was jedoch – eine der Stärken des Films – immer mit nachvollziehbaren Gründen verbunden ist: Der Staatsanalt fühlt sich dazu verpflichtet, sämtlichen Hinweisen auf kriminelle Aktivitäten nachzugehen. Die Geschäftspartner haben keinen Interesse, einen ihrer schärfsten Konkurrenten durch Barmherzigkeit am Leben zu erhalten. Abels Ehefrau sorgt sich hingegen mehr um das Wohl ihrer Familie als um Recht und Anstand. Auf die Spitze geführt wird der Konflikt anhand von Abels Angestellten Julian, der aus ähnlichen Verhältnissen stammt und nur zu gern eine vergleichbare Karriere wie Abel beginnen würde. Ihm geht jedoch die Fähigkeit ab, sich mit den schwierigen Gegebenheiten zu arrangieren. Während eines Überfalls auf seinen Truck wird er zusammengeschlagen. Morales steht ihm zunächst bei, bringt ihn jedoch trotz großer Ängste dazu, den Job wieder aufzunehmen und drängt ihn damit in eine stetige Abwärtsspirale, die beide bedrohen wird. Am Ende haben alle Schuld auf sich geladen.

2© Universum Film

J.C. Chandor beweist nach MARGIN CALL und ALL IS LOST einmal mehr, dass mit ihm zu rechnen sein wird. Er entschlackt seinen Film von unnötigem Ballast, lenkt die Aufmerksamkeit der Zuschauerschaft punktgenau auf die Darbietungen seines Casts. Diese Reduktion ist eine fast kunstvolle Funktionalität, wenn es denn so etwas gibt. Abels Kinder tauchen beispielsweise ab dem Zeitpunkt im Film nicht mehr auf, wo sie nicht mehr handlungsrelevant sind, worauf man jedoch erst später durch Abels Aussage, seine Kinder schon lange nicht mehr gesehen zu haben, gestoßen wird.
Chandors unaufgeregte Regie wird gestützt von stimmigen Farben und Bildern, die die bedrückende und unheilvolle Atmosphäre in grünlich-gelben, teils an Villeneuves ENEMY erinnernden Farbtönen spiegeln. Der gegen Ende erfolgte Ausspruch, wie schön die Stadt aussehe, erscheint geradezu zynisch. Erwähnung verdienen darüber hinaus Hauptdarsteller Oscar Isaac, dessen erneute Wandlungsfähigkeit eine Oscar-Nominierung verdient gehabt hätte, sowie die wie immer großartige Jessica Chastain, die aus ihrer kleinen aber schwierigen Figur das Optimum herausholt und deren Handeln immer spürbar und nachvollziehbar macht.

3© Universum Film

A MOST VIOLENT YEAR hätte leicht ein Film werden können, der seine moralischen Fragen zu eindeutig beantwortet, doch diese Möglichkeit wird gekonnt umschifft. Am Ende muss sich jeder Zuschauer selbst ein Urteil bilden. Sind es charakterliche Schwächen, die einen Menschen vom rechten Weg abkommen lassen, oder sind es die Umstände? Eine eindeutige Antwort gibt es nicht, nur die Lektion, dass der Kapitalismus sich immer über den Menschen stellen wird. Diese Aussage wird in einer der letzten Einstellungen auf den Punkt gebracht: Öl und Blut laufen aus, doch nur das Austreten des Öl kann gestoppt werden. Blut klebt an den Händen. Der Zuschauer wird seinen Gedanken überlassen, mit dem Song „America For Me“ und den Geräuschen des Kapitalismus.
So zwiespältig klingt der Amerikanische Traum des Jahres 2014.