MEHR ALS EIN LIEBESFILM
IMDb / Letterboxd / USA 1997, R: James Cameron
Lange Zeit schien der Erfolg von TITANIC unanfechtbar. Wie die Massen nach Kinostart Woche für Woche in die Kinosäle strömten, das war beileibe keine Selbstverständlichkeit. Das Mammutprojekt von James Cameron (ALIENS, TERMINATOR 2: JUDGEMENT DAY) war von Beginn an heikel. Das Risiko hat sich gelohnt. Und so wirkt es schon fast wie blanker Hohn, dass ausgerechnet ein Film über das luxuriöseste Schiff der Welt, welchem ein so furchtbares Schicksal widerfuhr, dieser komentenhafte Erfolg zuteil wurde.
Erstaunlich ist die Entstehung des Films schon. Alleine das Interesse für den gesunkenen Luxusdampfer Titanic, der auf seiner Jungfernfahrt von Southampton nach New York infolge einer Kollision mit einem Eisberg am 14. April 1912 sank, trauten einem Action- und Sci-Fi-Regisseur wie James Cameron wohl wenige zu. Der war offensichtlich ganz vernarrt in die tragische Geschichte. Nicht zuletzt seine vielen Expeditionen und Dokumentationen über die Titanic nach dem Kassenerfolg machen das mehr als deutlich. Dass dann auch noch ausgerechnet eine Liebesgeschichte auf dem Unglücksdampfer die Emotionen der Zuschauer packen sollte, das war beim bisherigen Verlauf Camerons Karriere nur noch eine Randnotiz.
©20th Century Fox
Am Ende der fast dreijährigen Produktion stand ein Epos von über drei Stunden Laufzeit. Ein Film, dessen Ausgang jeder Mensch und damit potentielle Kinobesucher bereits kennt. Die Geschichte der Titanic ist nicht nur in die Annalen der Schifffahrt eingegangen. Die Titanic ist Sinnbild der menschlichen Hybris. Der Luxusdampfer, das größte und teuerste Schiff seiner Zeit, ausgestattet und hergerichtet aus purer Dekadenz in der ersten Klasse, wurde zu einem Mahnmal für die Menschheitsgeschichte: In all seiner Überlegenheit ist es die reine Willkür der Natur, die es braucht, alles zu vernichten. Das „unsinkbare Schiff“ erliegt einem Zusammenspiel aus menschlichen Fehlern, technischen Makeln, unglücklichen Zufällen und einer Laune der Natur. Man kann es als Katastrophe betrachten: Über 1500 Menschen sterben in der Nacht. Oder aber als individuelle Schicksale: Menschen, die auf ein besseres Leben in Amerika gehofft haben, in ihre Heimat zurückkehren wollten. Cameron wählte bekanntermaßen den zweiten Weg.
TITANIC wurde zweifelsohne ein großer Erfolg, weil der Film in all seiner epischen Breite eine simple Liebesgeschichte erzählt. Romeo und Julia auf einem Schiff. Getrennt durch gesellschaftliche Normen. Sie, Rose (Kate Winslet), ist dem reichen Industriellen Cal (Billy Zane) versprochen. Mit ihrer Mutter residiert sie in der größten Suite des Dampfers, der Pomp um sie ist kaum zu ertragen. Der gesellschaftliche Druck schnürt Rose die Luft zu. – Er, Jack (Leonardo DiCaprio), ein junger Herumtreiber. Ein „Survivor“, der jeden Tag nimmt wie ein Geschenk, gewinnt mit einer glücklichen Hand im Poker die Überfahrt nach Amerika, schreit heraus, er sei „the king of the world“, und treibt seinem unausweichlichen Schicksal entgegen. Die beiden jungen, so verschiedenen Charaktere finden sich, verlieben sich und wehren sich. Gegen die Widerstände der ungerechten Kultur, gegen die Familie und letztlich gegen die Natur. Ein Kampf, der nicht gewonnen werden kann.
Anders als am Ende des romantischen Kitschs eines Shakespeares, muss sich Rose am Ende nicht aus Trauer um die verlorene Liebe das Leben nehmen. Ihr Schmerz bringt sie nicht an den Rand des Abgrunds. Dort stand sie bereits. Wollte sich aus den gesellschaftlichen Fesseln befreien, als sie sich in die Schiffsschrauben stürzen wollte und auf Jack traf. Viele mokieren den Kitsch am Ende von TITANIC: Im eiskalten Wasser des Atlantiks rettet sich Rose auf Treibgut des gesunkenen Schiffes, Jack bleibt im Wasser an ihrer Seite. Er erfriert wie tausende um ihn herum, sie überlebt, als sich die Besatzung eines Rettungsbootes erbarmt und zu den Ertrinkenden umkehrt.
Zyniker verurteilen das Ende: Im Liebesfilm beweist der Mann seine Liebe, da er für seine Geliebte selbst in den Tod geht – ja, so muss Liebe sein; bedingungslos, wahrhaftig und damit Erwartungen an die Realität schürend, die unerreichbar sind. Oder aber der alte Witz, dass Rose ja ruhig etwas hätte rücken können, um dem armen Jack Platz zu gewähren. Fakt ist, diese Kritiken zielen vollkommen an der Bedeutung der Szene vorbei. Die Romantik in TITANIC liegt nicht in der Aufopferung Jacks für Rose. In diesem Moment rettet er seine Geliebte nicht mehr, weil sie das schon längst für sich selbst getan hat. Der rührendste Moment ist so auch nicht, wenn Jack in der Schwärze des Ozeans versinkt, sondern als die Kamera am Ende des Films über die Fotos der mittlerweile gealterten Rose (Gloria Stuart) in der Rahmenhandlung fährt. Sie erzählt ihr Leben in wenigen Sekunden und man erfährt die beeindruckende Geschichte einer Frau, die ihr Leben selbst bestimmt hat.
©20th Century Fox
Natürlich schließt der Film mit der kitschigen, nichtsdestotrotz herzergreifenden Szene, in der Rose stirbt und zurück auf der Titanic wie verabredet Jack an der Uhr trifft. Um sie herum alle Opfer der Katastrophe. Ein poetischer Augenblick – „Make it count“, die Botschaft des Films. Es geht nicht um die eine wahre Liebe. Und das macht TITANIC zu so viel mehr als einem gewöhnlichen Liebesfilm. All das, was schön und gut war, kann in jeder Sekunde zerbersten wie das Porzellan, das beim Sinken des Dampfers auf dem Boden zerschellt. Das Leben ist ein Geschenk, keine Minute darf vergeudet werden. Rose hat es geschafft. Und das ist ein aufmunternder Gedanke.