„German Mumblecore“

CineCouch Essay Jan

Selten genug wird man Zeuge davon, wie eine Bewegung entsteht. Noch viel seltener kommt man mit eben den Hauptakteuren einer solchen Bewegung tatsächlich in Kontakt. So geschehen aber nun doch beim FILMZ – Festival des deutschen Kinos in Mainz. Dort fand in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Filmmuseum in Frankfurt ein zweitägiges Symposium zum Thema „German Mumblecore“ statt. Grund genug, um über diese spannende Entwicklung im jungen deutschen Film zu berichten.

Was ist überhaupt „German Mumblecore“?

Zuallererst dürfte der Begriff vielen Menschen, auch Kinointeressenten, wenn nicht Amerikanisch, dann doch zumindest Spanisch vorkommen. Was verbirgt sich also hinter diesen zwei Worten, die eine deutsche Bewegung vielleicht auch nicht gerade perfekt bezeichnen? In einfachen und wenigen Worten lässt sich diese Strömung darunter fassen, dass Filmemacher auf Grundlage von Improvisation Filme schaffen. Improvisation ist ja vor allem im Bereich des Schauspiels nichts Neues. Diese Bewegung ist in diesem Sinne auch nicht erst in den letzten Jahren entstanden. Dennoch haben sich in den vergangenen Jahren einige Akteure hervorgetan, die diesem Stil zuzuordnen wären.

Die Filme des „German Mumblecore“ entstehen oftmals impulsiv, selten geht überhaupt ein Treatment dem Dreh voraus. Am Set entstehen Großteile der Geschichten, die meist alltäglich erscheinen, durch das Stilmittel der Improvisation aber eine enorme Energie schaffen und freischalten. Dabei sind alle Bereiche am Set durch schnelles Reagieren und Entscheiden geprägt. Die Schauspieler bewegen und sprechen in unvorhersehbaren Bahnen, der Kameramann muss entscheiden, was er im Bild festhält, usw.

Im Rahmen des FILMZ 2014 fanden drei Diskussionsrunden zum „German Mumblecore“ statt.

Der Begriff wird jedoch von denen, die er beschreiben soll, eher ablehnend betrachtet, zumindest aber, ist er ihnen zuvor oft unbewusst und ohne Kenntnis übergestülpt worden und geht auf die amerikanische Form des „Mumblecore“ zurück, zu denen Akteure wie zum Beispiel Greta Gerwig zugeordnet werden.

Durchaus tiefergehende Beschreibungen und Ergebnisse zu der Strömung sind dankenswerterweise vom Dienst Filmportal frei zur Verfügung gestellt. In diesem Fall der Text zum „German Mumblecore“ von Bernd Zywietz aus dem Buch Ansichtssache – zum aktuellen deutschen Film.

Die erste Diskussion stand unter dem Motto:
„Improvisation als Stilmittel? Neue Wege in der Filmproduktion“


Wer sind die Akteure?

Der „German Mumblecore“ hat einige illustre und wie ich finde auch sehr sympathische Hauptakteure, die zu einem großen Teil an der Filmuniversität Babelsberg „Konrad Wolf“ studiert haben und auf unterschiedliche Weisen dem improvisierten Film nachgehen. Stellvertretend seien hier die Teilnehmer des Podiums aber auch die zwei aus verschiedenen Gründen entschuldigten Teilnehmerinnen mit ihren Filmen vorgestellt.

Hanna Doose studierte Regie an der dffb in Berlin und konnte bereits zahlreiche Preise einheimsen. Gleich dreifach prämiert wurde ihr Abschlussfilm STAUB AUF UNSEREM HERZEN (2012) auf dem Filmfest München.

Jakob Lass studierte Regie in Potsdam. Sein Abschlussfilm LOVE STEAKS (2014) wurde gleich vierfach auf dem Filmfest München ausgezeichnet, er erhielt den Max-Ophüls-Preis 2014 in Saarbrücken. Mit seinem mitverfassten Regelwerk FOGMA hat er Grundsätze aufgestellt, nach denen er seine Filme verwirklichen will.

Tom Lass, Jakobs Bruder, begann seine Karriere als Schauspieler und wechselte mit PAPA GOLD (2011) selbst ins Regiefach. Sein zweiter Langfilm KÄPTN OSKAR wird im Dezember in einigen Kinos laufen. Das besondere an ihm ist, dass er neben der Regie auch die Hauptrolle in seinen Filmen übernimmt und somit ganz direkt den Verlauf der Szenen mitbestimmt.

Aron Lehmann, ebenfalls ehemaliger Student der Regie in Potsdam, feiert erste Erfolge mit seinem Film KOHLHAAS ODER DIE VERHÄLTNISMÄßIGKEIT DER MITTEL mit Robert Gwisdek in der Hauptrolle. Anders als die übrigen Vertreter des „German Mumblecore“ arbeitet Aron Lehmann mit ausgearbeiteten Drehbüchern, die dennoch viel Raum für Improvisation lassen.

Axel Ranisch, studierte Regie in Potsdam, drehte für etwas mehr als 500 Euro seinen Debütfilm DICKE MÄDCHEN. Mit ICH FÜHL MICH DISCO (2013) konnte er mit einigem Budget mehr eine fantasievolle Coming-of-Age-Dramödie verfilmen, die auch international auf Festivals tourte. Ihn zeichnet die Zusammenarbeit innerhalb einer Filmfamilie aus. So greift er oft auf dieselben Schauspieler zurück.

Nico Sommer, studierte Regie an der Kunsthochschule in Kassel, wird im kommenden Januar seinen neuesten Film FAMILIENFIEBER ins Kino bringen. Mit dem Film gewann er auf dem Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken.

Isabell Šuba, absolvierte das Regiestudium in Potsdam, und konnte in Insiderkreise große Erfolge mit ihrer Fake-Doku MÄNNER ZEIGEN FILME UND FRAUEN IHRE BRÜSTE (2014) feiern. Dort begleitet sie eine Schauspielerin, die Šuba verkörpert, auf der Premiere ihres Kurzfilms auf den Filmfestspielen in Cannes – ein ganz irrer Trip.

Die zweite Diskussionsrunde beschäftigt sich mit dem Thema:
„German Mumblecore – Vorläufer, Selbstverständnis und Ausblick“


Was fasziniert an diesen Filmen?

Ich bin mehr oder weniger, vollkommen ohne es zu ahnen, mit dieser Strömung in Berührung gekommen. Ziemlich genau vor einem Jahr, als ich die Filme ICH FÜHL MICH DISCO, KÄPTN OSKAR und KOHLHAAS… auf dem letztjährigen FILMZ gesehen habe. In diesem Jahr kamen noch Filme wie FAMILIENFIEBER, MÄNNER ZEIGEN FILME… hinzu. Was mich an diesen Filmen allesamt so umgeworfen hat, ist dieser lebensnahe Humor. Die Situationen werden ganz oft vollkommen absurd. Denn in jeder Szene ist von vornherein alles möglich. Das macht diese Filme in ihrer Banalität der Handlungen so spannend: In jedem Moment kann für mich als Zuschauer etwas komplett unvorhersehbares passieren. Und damit geht ein Großteil der Magie am Set, die von eben jener Spannung und Ungewissheit geprägt ist, auf mich als Rezipienten über. Und diese Nähe ist immerzu zu spüren.

Hinzu kommt, dass man unfassbar gutes Schauspiel erleben kann. Die zwischenmenschlichen Streitereien in Familienfieber werden durch die Intensität des Schauspiels an den Zuschauer getragen. Die Bissigkeit in den Dialogen zwischen Regisseurin und Produzent in MÄNNER ZEIGEN FILME UND FRAUEN IHRE BRÜSTE bei Isabell Šuba ist schlicht und ergreifend brillant, gerade weil sie in dem Moment entstehen. Das eint wohl auch mich und die Filmemacher, wenn etwa Axel Ranisch sagt, dass er genau für diese speziellen Momente seine Filme dreht.

Euch allen möchte ich mit voller Intensität ans Herz legen, sich mit dieser Art des deutschen Films auseinanderzusetzen. Die Wege sind kurz. Den Anfang könnt ihr mit den überaus aufschlussreichen und unterhaltsamen Podiumsdiskussionen machen. Ganz zum Abschluss findet ihr noch weitere Links zum Themenfeld und auch zu Filmen des „German Mumblecore“.

In der dritten Podiumsdiskussion sprechen die Teilnehmer über:
„Chancen und Risiken neuer Vertrieb-, Verleih- und Abspielformen und die Zukunft des German Mumblecore”


Weiterführende Links:

Das Themenportal zum „German Mumblecore“ auf Filmportal.de

Das FOGMA-Regelwerk

SehrguteFilme-Manifest

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