„Oh, really? When I buy a new book, I read the last page first. That way, in case I die before I finish, I know how it ends. That, my friend, is a dark side.“ – WHEN HARRY MET SALLY (USA 1989, Regie: Rob Reiner)
Achtung: Wer meine Meinung nicht erfahren möchte, sollte ab diesem Punkt nicht weiterlesen.
Gefühlt seit Beginn des Internets ist eine Erscheinung in der Besprechung und Diskussion über Filme, Bücher und andere erzählerischen Ergüsse aufgekommen, die mich in seinem heutigen Ausmaß manchmal zur Weißglut bringen könnte: der Spoiler. Mit dem Begriff dürften wohl alle Leser vertraut sein, dennoch möchte ich ihn kurz erläutern. Das Wort stammt aus dem Englischen („to spoil“ bedeutet „verderben“). Gemeint ist, dass durch ein Übermaß an Informationen zur Handlung, der Genuss der Rezeption geschmälert würde.
Wieso sollte ich aber ein Problem damit haben, dass sich Leute darüber pikieren, dass ihnen Informationen zugänglich werden, die sie nicht haben wollen? (Ich meine, was anderes passiert bitte im Internet?!) Nun, mittlerweile haben sich Spoiler zu einem allgegenwärtigen Phänomen entwickelt, dass schon lange nicht mehr seinen eigentlichen Sinn erfüllt.
Roger Ebert sagte: „It is not our [er meint Kritiker] right, however, to destroy for others the experience of being as surprised by those choices [of the characters] as we were.“ Diese mehr oder minder als Definition des Spoilers zu verstehende Aussage trifft einen Punkt, der im Grunde sehr logisch und nachvollziehbar klingt. Jede Geschichte (ich beschränke mich im Folgenden auf das Medium Film) in einem Film wird durch die Aktionen von ihren Charakteren (mit)bestimmt. Diese mögen überraschend sein und damit beim Zuschauer gewisse Emotionen hervorheben – aber lässt es das Publikum kalt, wenn etwas unvorhergesehenes im Film passiert, von dem es vorher schon wusste? Ob Emotionen so einfach auszuschalten sind, halte ich für zweifelhaft.
Ohnehin gibt es gar Studien, die nachweisen, dass Spoiler nicht ihrem Ruf gerecht werden und das Geschehen auf der Leinwand „verderben“ – im Gegenteil. Das Wissen um das Ende der Geschichte kann die Spannung des Hergangs genauso hoch, wenn nicht gar höher halten, als die Vorfreude auf einen unbekannten Ausgang. Schon Alfred Hitchcock war der Meinung, dass suspense (ein Wissensvorsprung vor den Figuren des Films) viel mehr Emotionen beim Zuschauer hervorrufe als surpise (die Überraschung durch vorige Unkenntnis).
Nehmen wir einmal an, das Wissen um den Ausgang einer Geschichte würde den Filmgenuss tatsächlich „verderben“ – so müsste es doch für den Zuschauer unerträglich sein, einen Film mehr als ein Mal zu betrachten. Eines der bekanntesten Beispiele der noch nicht allzu fernen Vergangenheit ist David Finchers Film FIGHT CLUB. Die Handlung weist einen Plot-Twist auf, also eine unerwartete Wendung der Handlung – kennt man den Film, kennt man den Twist. Ist damit jede weitere Sichtung Zeitverschwendung? Ihr könnt euch denken, wie meine Antwort ausfällt – natürlich nicht! Denn gerade das Wissen um die Handlungskehrtwende erweitert die Rezeption um einige Aspekte! Hinweise auf den Twist können nun geordnet und verstanden werden – die Rezeption wird um einige Erfahrungen reicher.
Ich möchte nun nicht dazu auffordern, jedem potentiellen Zuschauer das Ende von FIGHT CLUB zu verraten. Es soll nur klar gemacht werden, dass das Wissen um eine Handlung nicht gleichbedeutend ist mit einer Schmälerung des Filmgenusses. Überhaupt sind Filme wie FIGHT CLUB, THE SIXTH SENSE oder THE USUAL SUSPECT Beispiele dafür, in denen der Begriff des Spoilers in seiner ursprünglichen Idee noch Sinn ergibt. Die genannten Filme bauen darauf auf, dass eine Wendung der Geschichte zu einer Überraschung führt. Sie sind extrem handlungsgetrieben und führen einen Großteil ihrer Faszination auf das Spiel mit dem Zuschauer zurück.
Mein Problem ist nun aber, dass man scheinbar nicht mehr über Filme diskutieren darf, wenn man mehr als die ersten 10 Minuten der Handlung bespricht. Und damit wird eines vollkommen außer Acht gelassen: Film besteht nicht nur aus der Handlung. Das ist gerade eine der größten Stärken des Mediums. Es kann sehr viel mehr bieten, als eine Story-Ebene. Bildgestaltung, Ton und Atmosphäre sind nur einige wenige Aspekte, die Film auszeichnen, Handlung ist in vielen Genres ein zu vernachlässigender Punkt. Bei einem Actionfilm darüber zu sprechen, dass der typisch unverwüstliche Held am Ende überlebt, ist kein Spoiler – wenn der Held stirbt, aber diese Aktion im Gesamtkonzept zu vernachlässigen ist, darf man dann darüber schreiben?
Es ist schade, dass in so vielen Diskussionen (nicht nur im Internet) die Wirkung eines Films so häufig auf das Ende seiner Geschichte reduziert wird. Filme bieten mehr und das sollte bei den Gesprächen – auch Kritiken über Filme – beherzigt werden.
Interessiert an einer anderen Meinung zum Thema? Hier könnt ihr Michis Essay lesen.