Vielleicht ist dem einen oder anderen von euch aufgefallen, dass ich in unserer „Wir über uns“-Rubrik statt eines Lieblingsregisseurs den Drehbuchautor Charlie Kaufman genannt habe. Zum einen, weil mir die Wahl eines einzigen Regisseurs zu schwer fallen würde, zum anderen, weil Kaufman sich als Autor von seinen vielen Kollegen vielleicht deutlicher abhebt, als es bei einem Regisseur der Fall sein könnte. Doch warum ist das so?
Für mich ist Charlie Kaufman einer der wenigen Autoren, die in ihren Werken Originalität und Anspruch mit Unterhaltung hervorragend kreuzen können. Kein Wunder also, dass er mehrfach mit Regisseuren wie Spike Jonze und Michel Gondry zusammengearbeitet hat. Neben Kaufmans vorherrschenden Ansatz, leicht abgedrehten Witz und Science-Fiction-Elemente miteinander zu verschmelzen, zeichnet er sich durch eine Reflexivität über die menschliche Identität, die eigene Tätigkeit und insbesondere die Kunst aus. Diese Themen leichtfüßig und dennoch intelligent in Entertainment zu verwandeln ist eine einzigartige Gabe, die ich hier näher vorstellen möchte.
Nachdem Charlie Kaufman als Schreiber bei verschiedenen TV-Serien tätig war, gelang ihm der Durchbruch mit BEING JOHN MALKOVICH, für den er eine Oscar-Nominierung einheimsen konnte. Der Film dreht sich um den erfolglosen Puppenspieler Craig Schwartz, der ein Tor in den Kopf des Schauspielers John Malkovich findet. Er ist fasziniert von der Möglichkeit, eine andere Identität annehmen zu können, genau wie diverse andere Personen, die nach und nach Wind von der Entdeckung bekommen. Was BEING JOHN MALKOVICH so großartig macht, ist die enorme Fülle an existenzialistischen Fragen, die Kaufman darin aufwirft. Es geht um Eskapismus, um fremdgesteuertes Handeln, um das ewige Leben und um die Möglichkeiten der Kunst: John Malkovich hat als Puppenspieler riesigen Erfolg, während Craig als namenloser Straßenkünstler kaum etwas verdient. Dabei unterscheiden sich ihre Darbietungen lediglich durch den bereits bestehenden Ruhm von John Malkovich.
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In ADAPTATION thematisiert sich Kaufman selbst beim erfolglosen Versuch, einen Roman zum Drehbuch umzuschreiben. Er quält sich mit einer Schreibblockade herum und sieht sich nicht im Stande, die Vorlage zu kürzen, da ihm deren Vielfalt einiges bedeutet. Sein Zwillingsbruder schreibt hingegen erfolgreich und problemlos an einem generischen Krimi und empfiehlt Charlie Kaufman, es mal mit einem Drehbuch-Seminar zu probieren, bei dem gelehrt wird, jede Abweichung von gewohnten Pfaden im Keim zu ersticken.
Wie weit darf man also bei einer Adaption gehen? Darf man den Ton des Werkes verändern, eine Lovestory erfinden, auf jeglichen Anspruch verzichten und sogar einen Hollywood-Shootout erfinden? Eindeutig kritisiert Kaufman hier gängige Praktiken im kommerziellen Filmgeschäft: Erfolgreiche Rezepte werden bis zum Erbrechen kopiert und Remakes überfluten die Kinosäle. Statt neuer Ideen werden Adaptionen in Auftrag gegeben und selbst deren Eigenheiten soweit glattgebügelt, dass sie kaum mehr wiederzuerkennen sind. Linda Hutcheon verwendet für solch Texte wie ADAPTATION den Begriff Metafiction. Anstatt die Realität darzustellen, stellen metafiktionale Texte den Prozess dar, eine Welt zu kreieren. Mit dem Offenlegen von empfundenen Missständen wie totgelaufenen Konventionen soll einerseits das Medium verändert werden und andererseits das Bewusstsein des Rezipienten auf diese formalen Elemente gelenkt werden. Dieser ist in der Lage, sich seine Mitschuld an der Stagnation des Mediums einzugestehen, da er lediglich unkritisch konsumiert hat.
Bei George Clooneys Regiedebüt CONFESSIONS OF A DANGEROUS MIND ergründet Kaufman die Memoiren des US-Fernsehmoderators Chuck Barris, der in seiner Autobiographie verkündete, jahrelang als Auftragskiller für die CIA gearbeitet zu haben. Bei der Geschichte interessiert Kaufman nicht die Frage, ob Barris die Wahrheit erzählt oder Lügenmärchen erfindet. Stattdessen hinterfragt er, ob das Wissen darum bei guten Geschichten von Nöten ist: Reicht es nicht, sich unabhängig vom Wahrheitsgehalt schlicht gut unterhalten gefühlt zu haben? Ähnliches demonstrierten die Coen bekanntlich in ihrem kultigen Klassiker FARGO. Hier suggerierte eine Texttafel zu Beginn, der Film würde auf wahren Begebenheiten beruhen, während dies am Ende durch den Warnhinweis, alle Ähnlichkeiten mit existierenden Persönlichkeiten seien purer Zufall, ad absurdum geführt wurde.
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In seinem vielleicht besten Film ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND löst sich der Autor ein wenig von der Reflexion über das eigene Schaffen und nähert sich dem Vergessen: Mithilfe einer bestimmten Prozedur können sich in dieser Sci-Fi-Romanze Menschen Erinnerungen aus dem Gedächtnis entfernen lassen. Nach dem Ende seiner Beziehung möchte sich Joel genau dieser Behandlung unterziehen, muss währenddessen allerdings alle Erinnerungen an seine Ex-Freundin Clementine noch einmal erleben. Schnell stellt er fest, dass er all die positiven Ereignisse nicht zugunsten des Vergessens der schlechten Zeiten aufgeben möchte. Fortan versucht er, Clementine in seinem Gedächtnis unter anderem in Kindheitserinnerungen zu verstecken, sodass sie nicht gelöscht wird. Was abstrus klingt, hat im Film Hand und Fuß und bietet einige Anreize zur Auseinandersetzung mit der Frage nach den Vorzügen und Nachteilen eines möglichen bewussten Gedächtnisverlusts. Und rein formal ist auch ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND weit entfernt von gängigen Normen. Unzählige Zeitsprünge fordern den Zuschauer, jeder Subplot fügt der Handlung Nuancen hinzu und die vielen skurillen Ideen wären wohl in anderen Filmen gestrichen worden: Zu abwegig, zu riskant.
Kaufmans bisher letzter Film, der gleichzeitig sein Regiedebüt darstellt, widmet sich erneut der Kunst: SYNECDOCHE, NEW YORK handelt von einem Theaterregisseur (Philip Seymour Hoffman), der ein Stück abbilden möchte, dass das Leben in all seinen Facetten beinhaltet. Dieses Mammutprojekt ufert immer mehr aus, als in einer Lagerhalle in New York eine Miniatur der Stadt aufgebaut wird, da Hoffman sich selbst in das Stück hineinschreibt. Er besetzt einen Schauspieler für sich selbst, der sich selbst ebenso wieder besetzt und quasi eine Theaterception in Gang setzt: Ein Stück im Stück im Stück, bei dem Kontrollverlust nur eine Frage der Zeit ist. Somit wird wiederum nicht nur das wahre Leben, sondern auch das folgerichtige Scheitern der künstlerischen Intention der Hauptfigur abgebildet, das gesamte menschliche Leben zu umfassen. Gleichzeitig steht das Theater für das Leben und die vielen Rollen, die wir während unserer Existenz spielen. Der leider verstorbene Filmkritiker Roger Ebert bezeichnete SYNECDOCHE, NEW YORK als einen seiner Lieblingsfilme. Ich persönlich bin von der überbordenden Fülle des Films jedes Mal erschlagen: Ich schätze ihn für seine riesigen Ambitionen und seinen Anspruch, aber es fällt mir extrem schwer, ihn zu mögen und mich durch ihn unterhalten zu fühlen.
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Jeder dieser Filme schafft es auf seine eigene Art, die eingangs erklärte Balance zwischen Kunst und Unterhaltung zu finden. Mal schlägt das Pendel in die eine Ecke aus und mal in die andere. Mir persönlich fiele es daher sehr schwer, mich für einen einziges von Kaufmans Werken zu entscheiden zu müssen. Sie alle bieten eine so außerordentliche thenmatische Reichhaltigkeit, dass man nur staunen kann und bei jeder Sichtung neue Details entdeckt.
Wer auf intelligentes, anspruchsvolles Kino steht, dass dennoch nicht zu kopflastig daherkommt und auch als schlichte Unterhaltung überzeugen kann, der sollte sich Charlie Kaufman mit einem fetten Rotstift auf der Watchlist markieren. Ich wurde von seinen Werken bisher noch nie enttäuscht, aber immer wieder überrascht. Und so blicke ich voller Vorfreude auf den bei Kickstarter finanzierten und momentan produzierten animierten Kurzfilm ANOMALISA und hoffe auf mehr Aufmerksamkeit für diesen bemerkenswerten Filmschaffenden.